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Pastetenlust

Pastetenlust

Titel: Pastetenlust
Autoren: Pierre Emme
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war schon zu spät.
    „Hier spricht die Polizei“
tönte es plötzlich von draußen. „Das Haus ist vollkommen umstellt, sie haben
keine Chance zu entkommen. Sie haben dreißig Sekunden Zeit, mit erhobenen
Händen, äh, Armen aus dem Haus zu kommen“

     
    *

     
    Eine neue Woche, ein neues Leben.
    Die Frau war gerade erst wieder nach Hause zurückgekehrt.
Eben ging die Sonne hinter den Dächern unter. Vom Balkon ihrer Wohnung aus
konnte sie die beiden Türme der Kirche sehen, die weltweit als Wahrzeichen
dieser, ihrer Stadt galten.
    Sie war drei Wochen lang weggewesen. Länger, als sie vorgehabt
hatte, aber wesentlich kürzer, als zu befürchten gewesen war. Am Morgen vor
zwei Wochen hatte sie einen Ort verlassen, an dem sie mehrere Tage hatte
verbringen müssen. Ganz gegen ihren Willen. Eine interessante Erfahrung, die zu
machen sie allerdings niemandem wünschte. Außer vielleicht, aber daran wollte
sie jetzt nicht mehr denken.
    Aber mit Schwierigkeiten hatte sie bei einem auf so lange
Zeit angelegten Projekt natürlich gerechnet, rechnen müssen. Denn von Nichts
kommt Nichts. Oder wie die jungen Leute heute zu sagen pflegen „No risk no
fun.“
    Aber schließlich war alles gutgegangen. Dabei hatte es bis
zuletzt gar nicht danach ausgesehen. Ganz und gar nicht.
    Die Leute, mit denen sie zu tun gehabt hatte, waren sehr
tüchtig. Fast zu tüchtig, wie es lange Zeit schien. Aber eben nur fast.
Eigentlich waren sie auch sehr nett, besonders der eine war richtig niedlich.
Es war kaum zu übersehen gewesen, dass er ganz schön verknallt in sie gewesen
war. Unter anderen Umständen wäre sie seiner unausgesprochenen Einladung
vielleicht nachgekommen. Dass er ihr einmal sogar Essen aus einem Chinesischen
Restaurant vorbeigebracht hatte, war richtig süß gewesen. Auch, wenn sie diese
Geschmacksrichtung nicht wirklich schätzte. Aber besser als der Fraß, den man
ihr sonst vorgesetzt hatte, war das Huhn süßsauer allemal gewesen. Die Kleine,
die ihn begleitet hatte, schien gut zu ihm zu passen. Ein schönes Paar, die
beiden. Sie wünschte ihnen alles Gute.
    Jetzt begann auch für sie selbst ein neues Leben. Endlich
kein Stress mehr mit ihrem früheren Chef, keine Notwendigkeit mehr, auf seine
unsinnigen, oft noch immer verletzenden Vorstellungen eingehen zu müssen. Keine
Angst mehr, dass plötzlich kein Geld mehr da war, um sich zumindest das
Allernotwendigste leisten zu können. Geschweige denn für die kleinen und etwas
größeren Dinge, die das Leben erst lebenswert machen.
    Mit dem, was sie in den
letzten Jahren zur Seite gelegt hatte, konnte sie die nächsten zwei Monate gut
und gerne überstehen. In Ruhe überlegen, was sie mit dem vielen Geld machen
würde, sobald es erst einmal da sein würde. Einige Anregungen dazu hatte sie
sich in den zwei Wochen geholt, in denen sie über Oberitalien, Südtirol und die
Schweiz nach Hause gefahren war. Sie hatte sich spontan zu diesem Urlaub
entschlossen. Wie sehr sie diesen langsamen Übergang von ihrem alten zu dem
neuen Leben benötigt hatte, merkte sie erst jetzt. Sie konnte sogar schon
wieder den Ausblick von ihrem Balkon genießen.
    Vor allem aber hoffte sie, jetzt, nachdem Simons Tod nach so
vielen Jahren endlich gerächt war, jenen Frieden und jene Ruhe wieder zu
finden, die als Basis für ein erfülltes Leben unabdingbar sind. Beides hatte
sie verloren, nachdem sie keine Kraft mehr gehabt hatte, dem massiven Druck
dieses schrecklichen Egoisten weiter zu widerstehen. Und sich selbst schuldig
gemacht hatte. Vielleicht würde es ihr sogar gelingen, nach so vielen Jahren
wieder eine normale, beglückende Beziehung zu einem Mann aufzubauen.
    Simon wäre jetzt, sie musste kurz nachrechnen. Also Simon
wäre fast schon zwölf Jahre alt. Komisch, dass sie immer davon ausgegangen war,
das Kind in ihrem Leib würde ein Junge sein. Dabei wäre eine Simone ebenso
willkommen gewesen. Jetzt musste sie nur noch die letzten Fäden kappen, die sie
mit den Ereignissen vor drei Wochen in Verbindung bringen konnten.
    Sie stand auf und ging zu dem Bücherregal an der Wand. Stolz
betrachtete sie die fünfzehn Bände von Mayers Konversationslexikon, 2. Ausgabe
von 1861. Zwei nicht nur dekorative, sondern auch recht wertvolle Laufmeter
Bücher, die sie von ihrem Urli, dem Vater ihrer Mutter geerbt hatte.
    Sie
nahm den Band von Ro-Te heraus, drehte ihn so, dass sein Rücken nach oben
zeigte und schüttelte das ziemlich gewichtige Buch
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