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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux
Autoren: Philippe Djian
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banale Gedanke, der mir kam, artete in ein Gift aus, in einen finsteren Hinterhof, in einen Becher Weltschmerz.
    Ich blickte nicht mehr durch. Mir war, als wäre ich krank oder als brütete ich etwas aus. Ich zermarterte mir das Hirn, um herauszubekommen, was nicht stimmte, aber es half nichts, es gab immer einen Moment, in dem alles dunkel wurde.
    Dann kam mir der Gedanke, daß ich selbst das Licht ausknipste. Das war der einzige Geistesblitz, der mich eine Sekunde lang erleuchtete. Dann, wieder in meiner Finsternis, erkannte ich, daß mich das letztlich auch nicht weiterbrachte.
    Ich stellte mich an den Rand der Klippe, um eine Zigarette zu rauchen. Es war windig, aber ich mußte nicht pinkeln. Ich erblickte Meryl und Oli, die auf der untersten Treppenstufe saßen. Ich fand, daß es sich lohnte, eine Tracht Prügel einzustecken, wenn man dafür eine solche Belohnung erhielt. Mir hatte mein kleiner Finger nichts vom Himmel geholt.
    Ich versteifte mich leicht, als sie sich küßten. Ich beobachtete sie, und nach einer Minute kam es mir vor, als ob ich nicht so ganz raffte, was sie da trieben. Ich wußte, wie man es anstellte, ein Mädchen zu küssen. Und das da ähnelte dem, nur daß es ganz anders war. Oder ich hatte noch einiges zu lernen. Und damit spuckte ich auf den Boden.
    Dann steckte ich die Fäuste in die Taschen. Unten hielten sie Händchen, schmiegten sich aneinander. Mir war nicht kotzübel, aber ich hatte das Gefühl, als stiege mir alles in die Kehle. Mir war auch nicht nach Weinen zumute, und dennoch schien sich alles in meinem Innern zu verflüssigen, ich spürte überhaupt nichts Festes mehr. Schlimmer noch: Ich lief aus wie ein Sieb, die Kälte rutschte aus meinem Kopf, durchdrang meine Brust und glitt in dem Maße, wie der Pegel sank, an meinen Hüften entlang. Das war die Leere, die sich breitmachte oder vielmehr in diesem Augenblick auf recht bizarre Weise zutage trat. Ich holte Luft, und der Wind drang in meine Nasenflügel, fauchte quer durch meinen Körper, als durchströme er ein Haus ohne Möbel, ohne Türen, ohne Fenster, ohne eine Menschenseele vom Speicher bis in den Keller.
    Und da hörte ich Ediths Stimme hinter mir.
    Ich drehte mich um, so schlecht dran wie nur einer.
    »Entschuldige«, murmelte ich, »aber ich habe nicht verstanden, was du gesagt hast …«
    »Dann will ich es dir noch einmal sagen …«
    Ich nickte. Wenn sie mir den Rest geben wollte, dann war das der richtige Zeitpunkt, ich hätte mich nicht gewehrt. Ich schaute sie an, da sie zögerte.
    Und sie erklärte mir: »Du findest nichts Besseres als mich, Henri-John. Du solltest mir wenigstens einmal was glauben …«
    Und meine Hand langte nach dem Treppengeländer.
     
    »Na ja … Ich glaube, ich hätte es gern zurück …«
    Sie wußte natürlich, daß ich es hatte mitgehen lassen. Ich wußte meinerseits nicht, wie sie reagieren würde, wenn wir auf dieses Thema kamen, es konnte sein, daß ich Ärger bekam. Aber ich hatte sie nach diesem Abend bei Heissenbüttel kalt erwischt, in der Küche, und es war spät, und ich hatte keinen Skandal verursacht, ich hatte keinen Streit mit ihrem Impresario gesucht, ich war perfekt gewesen. Hatte ich es verdient, daß sich auch nur ein leiser Zorn über meinem Haupt entlud?
    »Paß auf, könnte ich es noch ein wenig behalten?«
    »Und warum?«
    »Sagen wir, du bist das erste Mädchen, an das ich das Wort gerichtet habe, und ich habe mich daran gewöhnt. Wenn ich wach werde und dein Tagebuch nehme, schaffe ich es nach einer Weile, wieder einzuschlafen.«
    »Na, vielen Dank!«
    Aber sie lächelte.
    »Weißt du«, habe ich hinzugefügt, »wo wir davon reden, ich hab mich gewundert, daß du so lange gewartet hast. Ich hatte wirklich ’ne lange Leitung …«
    »Ich war noch jung …«
    »Ich glaube, bei Männern ist das anders. Erst wenn sie älter werden, kommt ihnen die Geduld zu Hilfe.«
     
    8. August 1966
    Er weiß nicht, was er will. Das ist nicht erst seit heute so, und vielleicht wird er sich nie ändern. Warum erscheint mir dagegen alles so klar?
    Ich habe meinen Platz mit Ramona getauscht. Ich lege keinen Wert darauf, mich am Vorabend unserer Hochzeit zu streiten. Frage ihn bloß keiner, warum er kein Kind will, er weiß es selbst nicht, sämtliche Gründe, die er anführt, ziehen nicht eine Sekunde.
    Aber Herrgott, es fällt mir schwer, ihm zu widerstehen, wenn er sich mir zuwendet, ich habe das Gefühl, ich liebe ihn jeden Tag mehr. Morgen sind wir genau ein Jahr zusammen.
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