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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux
Autoren: Philippe Djian
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Handbewegung, die bedeutete, daß er keine Lust hatte, mit mir zu diskutieren. Ich, ich hatte ihm nie etwas von meinen Liebesabenteuern verschwiegen, ich hatte ihm alles erzählt, was er wissen wollte, ich hatte ihm sogar geholfen, wenn er sich in eine unmögliche Situation manövriert hatte. Und das war der Dank dafür. Im Grund war mir Meryl ziemlich egal. Wenn ich ihr ein Flugticket hätte zustecken können, damit sie zum Teufel ging, hätte ich das ohne Zögern getan. Mein Herz zog sich nicht zusammen, wenn ich sie ansah, ich hatte nicht das Bedürfnis, ihr ein Gedicht zu schreiben oder nach ihrem Glas zu greifen, um mit ihr daraus zu trinken, oder ihre Gabel abzulecken, als ob nichts wäre, nur daß ich nicht blind war und nicht wie ein Volltrottel dreinblickte. Ich gab zu, daß sie anders war als die andern, daß man eine Minute darüber nachdenken und sich durchaus ein wenig Mühe geben konnte, um sich an ihren Arm zu klammern, aber nicht um jeden Preis. Das war der Unterschied zwischen Oli und mir. Er war bereit, den Preis zu zahlen, ganz gleich, was es kostete. Ich konnte in meiner Ecke verrecken, dieser Saukerl hätte es nicht einmal bemerkt.
    Eher zufällig fuhr ich mit der Hand in meine Hosentasche.
    »Ich hab die Schnauze voll von diesem Stuß«, erklärte ich ihm.
    Da er keine Antwort gab, stand ich auf und hockte mich vor ihn. Ich machte vor seiner Nase meine Hand auf und zeigte ihm die Pille.
    »Guck mal. Das ist die Lösung unserer Probleme …«
    Bislang ganz Gleichmut, verwandelte er sich in Väterchen Fratze.
    »Hmm? Was ist das denn?«
    Es gab so viele Gerüchte darüber, daß man es nicht genau sagen konnte. Der, der es verkaufte, schwor einem, daß es für alles gut war.
    »Das wird sie in die richtige Stimmung bringen. Das reicht für uns beide, wenn du mich fragst …«
    Trotz seiner Bräune wurde er bleich. Ich existierte also wieder für ihn. Endlich entschloß sich der Herr dazu, mir lebhafte Aufmerksamkeit zu widmen. »Ah, hol ruhig wieder Luft, mein Bester! Nicht daß du mir erstickst, du kleiner Phantast!«
    »Nein … Mal langsam … Was hast du vor??!!«
    Ich wußte selbst nicht, was ich vorhatte, aber ich würde es schnell herausbekommen. Ich sprang auf, fort von der Hand, die er nach mir ausstreckte.
    »Ich werde ihr etwas zu trinken machen. Was hältst du davon?«
    Er stand ebenfalls auf, mit verzerrtem Gesicht, hängendem Kiefer. Ich erkannte, das war es, was ich wollte.
    »Mein Gott! Zwing mich nicht, dich daran zu hindern«, stieß er mit tonloser Stimme hervor.
    »Wehe, du kommst mir in die Quere«, knurrte ich.
    Wir stierten uns einen Moment lang an, dann stürzte ich mich auf ihn.
    Und das war kein Jux. Ich prügelte mit voller Wucht auf ihn ein.
     
    5. August 1965
    Ich hatte so etwas wie eine Vorahnung. Ich habe nichts gesagt, ich bin ins Haus zurückgegangen.
    Oli lag auf dem Boden. Sein Gesicht war ganz rot, und er blutete aus dem Mund, er stöhnte. Henri-John saß neben ihm, er hatte die Beine an die Brust gezogen und die Arme um seine Knie geschlungen.
    »Laß uns in Ruhe«, murmelte er.
    Ich trat näher und kniete mich neben Oli hin. Ich spürte Henri-Johns Blick auf mir. Ich war unfähig, einen Ton zu sagen, und mir fiel nichts Besseres ein, als meinem Bruder die Haare zu ordnen und mir auf die Lippen zu beißen.
    Als ich meine Augen auf Henri-John richtete, habe ich gedacht, er sei um zehn Jahre gealtert. Seine Augen funkelten, aber seine Haut war grau und spannte sich wie Pergament. Er hatte eine Hand in ein Tuch gewickelt, und die andere war voller getrocknetem Blut. Er starrte Oli an, der halb ohnmächtig war, und ich hätte nicht sagen können, was in ihm vorging, noch nie hatte ich einen solchen Gesichtsausdruck gesehen. Und ich wußte auch nicht, was ich empfand. Ich war völlig leer. Kein Ekel, keine Wut, keine Trauer. Wie diese Leere vor dem Schmerz, wenn man sich irgendwo verletzt, nur daß das nicht aufhörte.
    Und ausgerechnet in diesem Moment schneiten die Töchter des Richters herein.
    »Macht, daß ihr wegkommt …!« knurrte er.
    »Irving hat sich in der Scheune aufgehängt …« teilten sie uns mit.
    Wenn ich Mut hätte, würde ich heute abend zu Henri-John gehen. Heute abend schlafen Meryl und Oli in einem Zimmer.
     
    »Wirklich, werter Freund … Das ist sehr peinlich«, raunt mir Heissenbüttel zu.
    »Für wen?« frage ich ihn.
    Wenn ich mir irgendwelche Unannehmlichkeiten hätte ersparen wollen, wäre ich nicht zu dieser Abendveranstaltung
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