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Paranoia - Hoer Auf Ihre Stimme

Paranoia - Hoer Auf Ihre Stimme

Titel: Paranoia - Hoer Auf Ihre Stimme
Autoren: Robert Gregory Browne
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Kopf. »Habe meinen Dienst gerade erst angefangen, aber der Typ, den ich abgelöst habe, sagte, sie ist schon vor Stunden weggefahren.«
    Mist, dachte Blackburn. Er hatte es gewusst, dass seine Hoffnung vergebens war.
    Der Cop ging an ihm vorbei, um einen verwirrten Patienten aufzuhalten. Blackburn drehte sich um und sah in Richtung der Bäume. Mittlerweile regnete es ziemlich stark.
    Blackburn überquerte die weitläufige Rasenfläche in Richtung eines schmalen Fußwegs, der durch ein BETRETEN-VERBOTEN-Schild abgeriegelt war. Auf halbem Weg hielt ihn jemand am Arm fest.
    Er fuhr herum und erwartete einen der Verrückten, doch zu seiner Überraschung war es der alte Mann, den er letzte Nacht auf der Avenue gesehen hatte. Er sah gar nicht gut aus.
    Seine Augen waren vor Schreck geweitet, sein Kittel war vorne zerrissen und voller Blut. Am Hals hatte er mehrere tiefe Schnittwunden, der linke Arm war aufgeschlitzt und blutete. Er hatte kaum noch die Kraft, sich auf den Beinen zu halten. Als sei er von einem wilden Tier angegriffen worden.
    »Sie müssen sie aufhalten«, keuchte er.
    »Wen? Und wer hat Sie so zugerichtet?«
    »Sie wissen, wer das war. Die Frau! Die Frau, die mal Myra war. Jetzt gehört sie zu den Kindern. Zu den Kindern der Trommel. So wie Henry.«
    Blackburn hatte nicht die leiseste Ahnung, wovon der Alte redete. Er hätte es als Geplapper eines Verrückten abgetan, doch etwas in den Augen des Mannes sagte ihm, dass er lieber zuhören sollte.
    »Wo ist sie?«
    Der Alte hob mit Mühe den Arm, um auf die Bäume zu zeigen. »Da drüben. Sie müssen sie aufhalten … bevor sie jemandem weh tut. Sie müssen …«
    Er strauchelte, fiel auf die Knie. Blackburn zog ihn hoch. Mittlerweile regnete es Bindfäden. Beide waren nass bis auf die Knochen, und neben ihnen bildete sich eine blutdurchtränkte Pfütze.
    »Wie hat sie Ihnen das angetan? Hat sie ein Messer?«
    Dem Alten gelang es, den Kopf zu schütteln, dann richtete er den Blick zum Himmel und ließ den Regen über sein Gesicht strömen.
    »Erinnert mich an Hurrikan Katrina«, sagte er. »Er hätte mich damals schon holen müssen, für das, was ich getan habe. Doch er hat mich gerettet.«
    »Wer?«
    Der Alte hustete, spuckte eine Blase Blut. »Henry. Mein Bruder Henry.« Er schwieg, schien versunken in Erinnerungen. Dann sah er Blackburn an und fragte: »Können Sie ein Geheimnis bewahren?«
    Blackburn wusste, dass der alte Mann sterben würde. »Ja.«
    »Ich habe mir all die Jahre etwas vorgemacht. Wir tun das oft, nicht wahr? Uns selbst belügen.«
    Blackburn nickte und musste daran denken, was er für Carmody empfand.
    »Wir belügen uns immer wieder, und dann besaufen wir uns auch noch, bis die Wahrheit irgendwann keine Rolle mehr spielt. Wir erinnern uns nur noch an die Lüge. An die Geschichten, die wir uns ausdenken, um nicht durch die Wahrheit über das, was wir getan haben, den Verstand zu verlieren.«
    Er hustete noch mehr Blut. Dann fuhr er fort: »Ich habe meinen kleinen Bruder geliebt. Ich weiß nicht, warum ich ihn vor den Polizeiwagen gestoßen habe, aber … aber mein Instinkt hatte es mir befohlen. Es war der Rhythmus. Der Rhythmus hat mich dazu gebracht. Damit die Welt im Gleichgewicht bleibt.«
    Er unterbrach sich, rang nach Luft. »Ich weiß nicht, warum sich Henry an dem versoffenen Bullen gerächt hat, und nicht an mir. Ich hatte es mehr verdient. Aber es muss einen Grund dafür gegeben haben. Etwas, das nötig war, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Und er muss gewusst haben, dass dieser Tag kommen würde.«
    Abermals sah der Alte zum Himmel hoch. »Du hast es doch gewusst, Henry? Du hast es die ganze Zeit über gewusst.«
    Donner grollte, und unter ihnen bebte die Erde.
    Der alte Mann schloss die Augen, schien einer inneren Stimme zu lauschen, und sagte schließlich: »Vergib mir, kleiner Bruder. Bitte, vergib mir …« Er wurde noch schwerer in Blackburns Armen.
    Er war tot.
    Einen Moment lang starrte Blackburn ihn an. Das Grollen des Donners verschmolz mit den Geräuschen des Chaos um ihn herum. Er wusste immer noch nicht, wovon der alte Mann eigentlich gesprochen hatte.
    Doch sein Geständnis – wenn es ein solches gewesen war –, die Reue für etwas, das er vor langer Zeit getan hatte, traf Blackburn bis ins Mark.
    Vorsichtig legte er den alten Mann ins Gras. Dann rannte er los, auf die Bäume zu.
    55
    Tolan wusste, dass es hier einen Pfad gab, doch er wusste nicht, wo. Da er keine Taschenlampe hatte, war seine
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