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Papa

Papa

Titel: Papa
Autoren: Sven I. Hüsken
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Künstler hatten einen Müllberg angehäuft, der den Schatten eines Mädchens warf, das auf einem Hügel ein Buch las. Dies hier war ähnlich.
    Kein Hügel. Kein Buch. Aber ein hochgewachsener Baum, mit Ästen, Blättern und Wurzeln. Daneben stand so etwas wie ein Gebäude. Eine Hütte oder Ähnliches.
    Am faszinierendsten war das Drahtgeflecht, das aus Rieds Auge stach. Was in Wirklichkeit wie ein langgezogener, in sich verknoteter Draht aussah, zeichnete den Schatten eines Namens: Lillian.
    Mehr brauchte Robert nicht zu sehen. So schnell er konnte, rannte er die Treppe hinunter, durch den Flur nach draußen, wo ihm Zellinger entgegenkam. »Was habt ihr rausgefunden?«
    Robert stutzte, aber auch für Eitelkeiten war jetzt keine Zeit. »Ich glaube, Lilly ist in einer Hütte im Wald. Dort muss ein großer Baum stehen. Wahrscheinlich eine Eiche oder eine Buche. Ich brauche einen Kompass.«
    Zurück im Horrorzimmer zeigte Robert Zellinger seine Theorie. Dabei hielt er den Kompass an die Werkbank. »Dieses Gesicht«, erklärte er kurzatmig, »schaut nicht aus Zufall in Richtung Baum. Die Wand mit dem Schattenbild ist die Baumgrenze vor dem Haus, die Werkbank ist das Haus selbst, und die Blickrichtung des Gesichts ist der Weg, den wir gehen müssen.«
    Er drehte den Kompass ein wenig und richtete ihn aus. »Wenn wir uns nordwestlich halten, werden wir auf eine Hütte stoßen, die unter einem großen Baum steht. Dort müssen wir suchen.«
    Zellinger fackelte nicht lange und trommelte seine Leute zusammen. Alle zusammen machten sich auf den Weg in den Wald.

[home]
    Kapitel 50
    H offnung war wie ein alles verschlingendes Feuer. Heiß, schmerzhaft, und wenn es zu lange oder zu heftig brannte, blieb nichts zurück als staubige Asche.
    Und dennoch war es alles, was Michelle geblieben war.
    Es hatte wieder angefangen zu regnen, und je tiefer sie in den Wald liefen, desto lauter prasselten die Tropfen auf die Bäume.
    Taschenlampen schwenkten durch die Dunkelheit, Polizisten riefen sich gegenseitig irgendwelche Befehle zu. Michelle war das egal. Sie hielt sich an Robert.
    Eigentlich hätte sie im Auto bleiben sollen, aber nichts in der Welt hätte sie zurückhalten können. Das hatte sie deutlich gemacht, und irgendwann hatte Robert Bendlin angeboten, an ihrer Seite zu bleiben. Das war in Ordnung, solange sie nach ihrem Mädchen suchen durfte. Außerdem war er es, der ihr Hoffnung gegeben hatte – und eine Speicherkarte. »Niemand braucht zu wissen, was Sie getan haben. Ich möchte, dass Sie so unbeschadet aus dieser Sache herauskommen wie möglich«, hatte er ihr gesagt und ihre Hände gedrückt.
    Sebastian Graf war hier der Bösewicht. Niemand würde auf den Gedanken kommen, sie könne eine Mitschuld tragen.
    Gut für dich, dass dieser Bendlin nicht weiß, was du wirklich getan hast, Michelle. Nur mich hintergehst du nicht. Ich weiß, dass du Maik getötet hast. Lillys Vater. Glaubst du, du kannst mit dieser Schuld leben? Wirst du Lilly je aufrecht in die Augen blicken können?
    Glaubst du, mich je zum Schweigen bringen zu können?
    Michelle wusste darauf keine Antwort. Damit würde sie sich zu einem späteren Zeitpunkt befassen. Jetzt war nur Lilly wichtig. Nur ihr Baby. Sie blendete die Stimme für eine Weile aus.
    Man hatte ihr über diesen Einsatz nicht alles gesagt. Sie waren auf der Suche nach einer Hütte, so viel wusste sie. Bendlin hielt einen Kompass vor sich und korrigierte hin und wieder ihre Richtung. Sie leuchtete ihm den Weg.
    Der Untergrund verwandelte sich schnell in eine Moorlandschaft. Das Unterholz zerrte an ihrer neuen Hose, biss sich daran fest.
    Unter dem Pulli, den man ihr gegeben hatte, war sie nackt, und ihre Brustwarzen kratzten schmerzhaft an der Wolle. Doch das waren Kleinigkeiten.
    Schneller. Sie wollte schneller laufen. Rennen. Fliegen.
    Ihre Brust brannte vor Aufregung, ihr Atem ging rasselnd. Sie hatte kaum die Kraft, um die Taschenlampe zu halten.
    »Es muss einen
richtigen
Weg zur Hütte geben«, rief einer der Polizisten aus einiger Entfernung. »Ich will, dass der Krankenwagen dorthinfährt. Auch wenn er etwas länger braucht. Wo sind die Sanitäter?«
    Jemand antwortete, doch er war so weit weg, dass Michelle ihn nicht verstand.
    Sie konzentrierte sich auf den Waldboden, der alles versuchte, sie zum Stürzen zu bringen.
    Dicke Regentropfen platschten ihr ins Gesicht, und plötzlich hätte sie Robert Bendlin am liebsten eine Ohrfeige gegeben. Er hatte ihr Hoffnung gemacht. So weit waren
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