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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan
Autoren: Rot ist mein Name
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ist, würde keiner von ihnen glauben, das
Antlitz einer Frau könne schön sein, wenn Augen und Lippen nicht denen einer
Chinesin glichen. Hätten sie mich nach Art der alten Meister von Herat als eine
chinesische Schönheit dargestellt, so hätte jemand, der mich kennt, hinter der
schönen Chinesin vielleicht mein Gesicht entdeckt. Doch unsere Nachfahren
könnten niemals genau herausfinden, wie mein Gesicht in Wirklichkeit aussah,
auch wenn sie wüßten, daß ich keine schräggestellten Augen hatte. Wenn ich
heute in meinen alten Tagen, die mir die Hilfe meiner Söhne leichter machen,
ein Bildnis von mir aus meiner Jugend besäße – wie glücklich wäre ich!
    2. Ich wollte ein Bildnis der
Glückseligkeit malen lassen – jener Sache, über welche Nazim der Blonde, der
Poet von Ran, in seinen Verserzählungen nachsinnt. Und ich weiß sehr wohl, wie
das auszuführen wäre. Es sollte das Bild einer Mutter mit ihren beiden Kindern
sein; das kleinere in ihren Armen, das sie lächelnd stillt, sollte selig
lächelnd an der großen Brust der Mutter nuckeln, und ich wollte, daß sich die
ein wenig eifersüchtigen Blicke des älteren Bruders mit denen der Mutter
treffen. Ich möchte auf diesem Bild die Mutter sein, und ich möchte auch, daß
auf diesem Bild der Vogel am Himmel so dargestellt wird, als flöge er und
stünde gleichzeitig still, glückselig am Himmel flatternd bis in alle
Ewigkeit, ganz im Stil der alten Herater Meister, welche die Zeit anhielten.
Ich weiß, es ist nicht leicht.
    Mein Sohn Orhan, der töricht genug ist, um
alle Dinge auf logische Weise lösen zu wollen, hatte mich vor Jahren daran
erinnert, daß die Herater Meister, welche die Zeit zum Stillstand brachten,
mich niemals so hätten zeichnen können, wie ich war, hatte mir erklärt, daß die
fränkischen Meister, die unaufhörlich Bilder von schönen Müttern mit dem Kind
auf dem Arm malen, ihrerseits die Zeit nicht zum Stillstand bringen können und
daß mein Bild von der Glückseligkeit ohnehin zu keiner Zeit gemalt werden
könnte.
    Vielleicht hat er recht. Die
Menschen suchen wahrlich nicht nach einem Lächeln auf dem Bild des Glücks, sie
suchen nach dem Glück im Leben. Die Maler wissen dies, doch es ist gerade das,
was sie nicht malen können. Aus diesem Grund ersetzen sie die Freude am Leben
durch die Freude am Sehen.
    Weil es unmöglich sein wird, diese
Geschichte zu malen, habe ich sie meinem Sohn Orhan erzählt, damit der sie
vielleicht aufschreibt. Die Briefe, die mir Hasan und Kara schickten, und die
zerlaufenen Pferdebilder, die man bei dem armen Fein Efendi fand, habe ich ihm
ohne Zögern übergeben. Er ist reizbar, launisch und unglücklich wie immer und
hat keine Angst, denen Unrecht zu tun, die er nicht mag. Deswegen dürft ihr
Orhan nicht glauben, wenn er Kara abwesender, unser Leben härter, Şevket
schlimmer und mich schöner und weniger anständig darstellt, als es der Wahrheit
entspricht. Denn es gibt keine Lüge, die er nicht spinnen würde, um seine
Geschichte hübsch und glaubhaft zu gestalten.
    1990-92,1994-98

Zeittafel
    Zeittafel
    336-330 v. Chr.
    Darius
III, letzter König
der Achaimeniden, herrscht über Persien. Er verliert sein Reich an Alexander
den Großen.
    336-323
    Alexander
der Große festigt
seine Herrschaft. Er erobert Persien und fällt in Indien ein.
    622 n. Chr.
    Hedschra: Der Auszug des
Propheten Mohammed aus Mekka nach Medina, zugleich der Beginn der islamischen
Zeitrechnung.
    1010
    Das Buch der
Könige [Schahname]. Der persische
Dichter Firdevsi [Firdausi], etwa 935-1020, widmete sein Buch Sultan Mahmud von
Ghasna. Die Episoden aus der persischen Mythologie und Geschichte unter
anderem über den Einfall Alexanders in Persien, den Helden Rüstem und den Kampf
zwischen Iran und Turan – inspirieren seit dem 14. Jahrhundert die Maler.
    1141-1209
    Der persische
Dichter Nizami schreibt das Epos Hamse (Fünf Bücher), das
folgende Geschichten enthält, die allesamt die Maler inspiriert haben: Mahzan-ol-Azrar
[Schatzkammer der Geheimnisse], Chosrau und Schirin, Layla und Medschnun, Die
sieben Schönheiten und Eskandarname [Das Buch von Alexander dem Großen].
    1206-27
    Herrschaft des Mongolenführers Cengiz
Chan
[Dschingis-Khan]. Er fällt in Persien, Rußland und China ein und dehnt sein
Reich von der Mongolei bis nach Europa aus.
    1258
    Plünderung
Bagdads. Hülagü, der Enkel Cengiz Chans,
Regierungszeit 1251-1265, erobert Bagdad.
    1300-1922
    Das Osmanische
Reich, eine sunnitisch-muslimische Macht,
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