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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan
Autoren: Rot ist mein Name
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des
Flaschenhändlers, wo ich leere Kristallampen und Sorbetbecher erworben hatte,
die ich bemalte und an feine Leute unterderhand verkaufte, und Flaschen, die
ich mit Blütenmustern schmückte, und das Hamam, zu dem mich meine Füße eine
Zeitlang wie von selbst trugen, weil es billig und wenig besucht war – sie
alle standen an meinem Weg bis nach Beyazıt, um mich und meine Tränen
respektvoll zu grüßen.
    In der Umgebung des zertrümmerten,
ausgebrannten Kaffeehauses war niemand zu sehen, und auch jenes Haus war leer,
in dem, so wünschte ich von Herzen, nur Glück herrschen sollte für die schöne Şeküre
und ihren neuen Ehemann, der jetzt vielleicht im Sterben lag. Die Hunde von
Istanbul, die dunklen Bäume, blinden Fenster, schwarzen Rauchabzüge, die
Gespenster und die fleißigen, traurigen Frühaufsteher, die morgens zum Gebet
hasteten, sie hatten mich alle auf meinen tagelangen Wanderungen durch die
Straßen so feindlich angestarrt, nachdem meine Hände mit Blut besudelt waren,
doch nachdem ich die Morde gestanden und beschlossen hatte, die Stadt zu
verlassen, schauten sie mich freundlich an.
    Ich hatte die Beyazıt-Moschee, hinter mir gelassen und blickte von einem Hügel auf das
Goldene Horn hinunter: Es wurde hell am Horizont, das Wasser aber war noch
dunkel. Zwei Fischerboote, Lastkähne mit eingerolltem Segel, eine vergessene
Galeere schaukelten leise auf den unsichtbaren Wellen und riefen mir zu: Geh
nicht fort, geh nicht fort! Hatten die Nadelstiche die Tränen verursacht, die
mir jetzt aus den Augen rannen? Stell dir das herrliche Leben vor, das dich
dank der Wunderwerke deines Talents in Indien erwartet! sprach ich zu mir
selbst.
    Ich verließ die Straße, lief rasch
durch zwei morastige Gärten und suchte Schutz bei einem alten, von Grün
umgebenen Steinbau. Dies war das Haus, von dessen Tür ich als Lehrling jeden
Dienstag Altmeister Osman abgeholt hatte, um seine Tasche, seine Mappe, seinen
Rohrstiftkasten und sein Schreibpult zwei Schritte hinter ihm her bis zur
Buchmalerwerkstatt zu tragen. Hier hatte sich nichts verändert, nur die
Platanen im Garten und auf der Straße waren so groß geworden, daß sie dem Haus
und der Straße eine Aura von Pracht, Reichtum und Macht verliehen, als stammten
sie aus der Zeit Sultan Süleymans.
    Da die Werkstatt in der Nähe meines
Weges zum Hafen lag, hörte ich auf den Teufel und ließ mich von dem Verlangen
treiben, noch einmal die Bögen des Gebäudes zu sehen, in dem ich fünfundzwanzig
Jahre verbracht hatte. Und wie ich als Lehrling dienstags Meister Osman
gefolgt war, so ging ich jetzt durch die Bogenschützengasse, die im Frühling
betäubend nach Lindenblüten duftete, an der Backstube vorbei, wo der Meister
seine Fleischpasteten kaufte, die Anhöhe mit den Reihen von Quitten- und
Kastanienbäumen und Bettlern davor hinauf, an den geschlossenen Läden des neuen
Marktes entlang, an dem Barbier vorbei, den der Meister jeden Morgen grüßte, am
Rand des unbestellten Gemüsegartens entlang, wo die Akrobaten im Sommer ihre
Zelte aufstellten und ihr Können zeigten, an den stinkenden Junggesellenheimen
und den schimmelig riechenden byzantinischen Gewölben entlang, an dem Palast
des Ibrahim Pascha und der hundertmal gezeichneten Schlangensäule und der
jedesmal anders dargestellten Platane vorbei bis zum Hippodrom und dort unter
den Kastanien und Maulbeerbäumen entlang, in deren Kronen morgens die Spatzen
und die Elstern eifrig tschilpten und schwatzten.
    Das schwere Tor der
Buchmalerwerkstatt war geschlossen. Niemand war zu sehen, weder am Tor noch
oben unter dem Bogengang. Ich konnte nur einen kurzen Augenblick aufgeregt zu
den kleinen Fenstern mit ihren geschlossenen Läden hinaufschauen, aus denen
unsere Blicke in den Lehrjahren, wenn uns die Langeweile plagte, auf die Bäume
hinausgewandert waren, als mich jemand anhielt.
    Seine Stimme war hoch und schrill
und tat den Ohren weh. Er sagte, der Dolch mit dem Rubingriff in meiner Hand
gehöre ihm, und sein Neffe Şevket und dessen Mutter Şeküre hätten
sich zusammengetan und ihn aus seinem Haus gestohlen. Und dies beweise, daß
ich zu Karas Männern gehörte, die nachts sein Haus überfallen und Şeküre
entführt hätten. Dieser allwissende, zornige Mann mit der schrillen Stimme
kannte auch Karas Buchmalerfreunde und wußte, daß sie zu ihrer Werkstatt kommen
würden. Er schwang ein langes Schwert, das in einer merkwürdig roten Farbe
funkelte, und hatte viele offene Rechnungen, die er aus
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