Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan
Autoren: Rot ist mein Name
Vom Netzwerk:
mir gemalten
Bildes, aus der Tatsache, daß ich es mir nicht einmal richtig ähnlich machen
konnte, habe ich einmal mehr erfahren, daß man Jahrhunderte braucht, um die
Kunstfertigkeit der fränkischen Meister zu erreichen – was wir ohnehin seit
langem wissen, ohne etwas darauf zu geben. Wenn das Buch des Oheims vollendet
und dorthin geschickt worden wäre, hätten uns die venezianischen Künstler
belächelt und dieses Lächeln an den Dogen von Venedig weitergegeben, weiter
nichts. Der Osmane verzichtet darauf, Osmane zu sein, hätten sie gesagt und
uns nicht mehr gefürchtet. Wie gut es für uns wäre, auch weiterhin dem Weg der
alten Meister zu folgen! Aber niemand will das, weder unser hochwohlgeborener
Padischah noch Kara Efendi, der tief bekümmert ist, weil er kein Porträt der
lieben Şeküre besitzt. Dann setzt euch hin und ahmt jahrhundertelang die
Methoden der Franken nach! Verseht die Imitationen auch recht hochnäsig mit
eurer Signatur. Die alten Meister von Herat waren stets bemüht, die Welt so
darzustellen, wie Allah sie sieht, und zeichneten nie ihren Namen ein, damit
ihre Persönlichkeit verborgen blieb. Ihr aber werdet eure Signatur
daraufsetzen, um zu verbergen, daß ihr keine Persönlichkeit besitzt. Doch
einen Ausweg gibt es noch, den man vielleicht schon jedem von euch angeboten
hat, obwohl ihr's mir nicht sagen mögt: Akbar, der freigebige Mogul-Sultan von
Indien, spart nicht mit Gold und Gunst, um die größten Talente der Malkunst um
sich zu versammeln. So steht fest, daß wir das Buch zum eintausendsten Jahr
des Islam nicht hier in Istanbul, sondern in der Buchmalerwerkstatt von Agra
hervorbringen werden.«
    »Muß ein Illustrator erst zum Mörder
werden, um solche Luftschlösser bauen zu können wie du?«
    »Es genügt, der begabteste und
fähigste zu sein«, sagte ich, ohne ihn weiter zu beachten.
    Ein stolzer Hahn krähte zweimal in
der Ferne. Ich suchte mein Bündel und meine Goldmünzen zusammen und legte mein
Musterheft und die Bilder in meine Mappe. Es ging mir auch durch den Kopf, daß
ich sie mit dem Dolch, dessen Spitze gegen Karas Kehle gerichtet war, alle
einzeln umbringen könnte, doch ich liebte meine Kindheitsfreunde und Gefährten
seit der Lehrzeit, ja sogar Storch, der mir die Nadel in die Augen gestochen
hatte, auch jetzt noch.
    Den lieben Schmetterling, der
aufgestanden war, schüchterte ich mit einem Schrei ein, so daß er sich wieder
hinsetzte. Das gab mir die Sicherheit, den Konvent heil verlassen zu können, und
so handelte ich etwas voreilig und gab jene protzigen Worte, die ich eigentlich
für den Augenblick vorgesehen hatte, in dem ich zur Tür hinausgehen würde,
ungeduldig von mir: »Meine Flucht aus Istanbul wird der Flucht Ibn Schakirs
aus Bagdad während der mongolischen Besetzung gleichen!«
    »Dann mußt du nicht nach Osten,
sondern nach Westen gehen!« sagte der eifersüchtige Storch.
    »Allah ist Herr über Ost und West«,
sagte ich auf arabisch wie der selige Oheim.
    »Aber Ost ist im Osten und West im
Westen«, meinte Kara.
    »Ein Künstler darf nicht hochmütig
werden«, sagte Schmetterling. »Er sollte allein seiner inneren Stimme folgen,
wenn er malt, statt sich um Ost oder West zu sorgen.«
    »Du hast ein so wahres Wort
gesprochen«, sagte ich zu dem lieben Schmetterling, »daß ich dich küssen
möchte!«
    Doch kaum hatte ich zwei Schritte
auf ihn zu getan, als Kara mich pflichtgetreu ansprang. In einer Hand hielt ich
mein Bündel mit Wäsche und Gold und unter den Arm geklemmt die Mappe voller
Bilder. Um meine Habe zu schützen, vernachlässigte ich meinen eigenen Schutz.
Ich konnte es nicht verhindern, daß er mich oberhalb der dolchbewehrten Hand
beim Arm packte. Aber das Glück war auch ihm nicht hold, und als er das
Gleichgewicht verlor, weil sich sein Fuß an einem Buchständer verfing, hing er
nur noch hilflos an meinem Arm, statt ihn fest gepackt zu halten. Ich gab ihm
nicht nur kraftvolle Tritte, sondern biß auch in die Finger seiner Hand und
konnte ihn abschütteln. Er heulte auf in Todesangst. Dann trat ich fest auf
dieselbe Hand, hielt den anderen beiden den Dolch entgegen und schrie: »Bleibt
sitzen, wo ihr seid!«
    Sie taten es. Ich bohrte die Spitze
des Dolches in eines von Karas Nasenlöchern, wie Keykawuş in der Legende. Als das Blut zu fließen
anfing, flossen ihm auch Schmerzenstränen aus den Augen.
    »Raus mit der Sprache«, forderte
ich. »Werde ich nun blind werden?«
    »Der Legende nach gerinnt das Blut
im Auge des einen,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher