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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan
Autoren: Rot ist mein Name
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denen der Koran
spricht. Indessen erinnere ich mich jetzt sehr wohl daran, wie oft und mit
welchem Vergnügen ich die großäugigen Huris im Paradies gezeichnet habe, welche
die Sure Al-Wakiah beschreibt. Natürlich konnte ich ebensowenig irgendwo jene
vier Flüsse aus Milch, Wein, süßem Wasser und Honig ausmachen, die so große
Phantasiebegabte wie Ibn Arabi in den verlockendsten Farben geschildert haben.
Da ich die vielen Menschen, die zu Recht in ihren hoffnungsvollen Vorstellungen
von der anderen Welt leben, nicht zum Unglauben verleiten will, muß ich sofort
darauf verweisen, daß all diese Dinge mit meiner besonderen Lage
zusammenhängen: Jeder gläubige Moslem, der ein wenig Wissen über das Leben
nach dem Tode besitzt, wird mir zustimmen, daß ein Friedloser wie ich in meinem
Zustand sich schwertut, die Ströme des Paradieses zu gewahren.
    Kurz, ich, den man unter den
Meistern der Malertruppe als Fein Efendi kennt, bin gestorben, aber nicht
begraben. Deswegen konnte meine Seele meinen Körper nicht ganz und gar
verlassen. Damit sich meine Seele – was immer ihr Schicksal sei – zum Paradies
oder der Hölle begeben kann, muß ihr zunächst gelingen, aus dem Unrat meiner
Körperhülle zu schlüpfen. Meine ungewöhnliche Lage, in die allerdings auch
andere geraten, bereitet meiner Seele schreckliche Pein. Daß mein Schädel
zertrümmert ist, mein Körper halb im eisigen Wasser mit gebrochenen Gliedern
und voller Wunden verwest, fühle ich nicht, doch ich empfinde die tiefe Qual
meiner Seele, die darum ringt, meinen Körper zu verlassen. Die ganze Welt,
eingezwängt in mein Inneres, scheint mir enger und enger zu werden.
    Dieses Gefühl zunehmender Enge läßt
sich nur mit dem jener erstaunlichen Weite vergleichen, das ich in dem
beispiellosen Augenblick des Todes empfand. Als mein Schädel so plötzlich von
der Seite her durch den Stein getroffen und zertrümmert wurde, begriff ich zwar
sofort die mörderische Absicht des gemeinen Kerls, konnte aber nicht glauben,
daß es ihm gelingen würde. Ich muß voller Hoffnung gewesen sein, doch ist mir
dies wohl nicht bewußt geworden in dem schattenhaften Dasein zwischen der
Werkstatt und meinem Haus. Mit jedem Nagel meiner Finger und mit den Zähnen,
die daran nagten, habe ich leidenschaftlich am Leben gehangen. Doch ich möchte
euch mit dem Schmerz, den mir die weiteren Schläge auf meinen Kopf bereitet
haben, nicht weiter langweilen.
    Als mir voller Trauer bewußt wurde,
daß ich sterben mußte, weitete sich mein Inneres auf unglaubliche Weise. Den
Augenblick des Übergangs erlebte ich im Gefühl dieser Weite: So sanft war meine
Ankunft hier, als sähe man sich schlafend im eigenen Traum. Mein letzter Blick
erfaßte die schnee- und schmutzbedeckten Schuhe meines Mörders. Ich habe meine
Augen wie im Schlaf geschlossen und bin auf angenehme Weise im Jenseits
angelangt.
    Nicht, daß mir die Zähne wie
Kichererbsen aus dem blutigen Mund gefallen sind, daß mein Gesicht bis zur
Unkenntlichkeit zerquetscht wurde oder daß ich eingeklemmt am Grund eines Brunnens
liegengeblieben bin, gibt mir jetzt Grund zur Klage, sondern daß man glaubt,
ich sei noch am Leben. Es peinigt meine ohnehin ruhelose Seele, daß meine
Lieben ständig an mich denken und sich vorstellen, ich sei immer noch in
irgendeinem Winkel von Istanbul mit einer dummen Sache beschäftigt, ja sogar,
ich liefe einer anderen Frau hinterher. Soll man doch schleunigst meine Leiche
finden, das Totengebet sprechen, mich aufheben, forttragen und endlich begraben!
Noch wichtiger aber – man entdecke meinen Mörder! Sei das Grab, in das man mich
legt, noch so prächtig, so sollt ihr doch wissen, daß ich mich friedlos darin
drehen und wenden und euch dazu bringen werde, die eigene Glaubenstreue in
Zweifel zu ziehen, solange jener gemeine Kerl nicht ertappt wird. Findet den
Hurensohn, meinen Mörder, dann werde ich euch in allen Einzelheiten erzählen,
was ich zu sehen bekomme in der anderen Welt! Doch wenn der Mörder gefunden
ist, müßt ihr ihn im Schraubstock foltern, acht bis zehn seiner Knochen
knirschend brechen, vorzugsweise die der Brust, dann seine Kopfhaut mit den
Spießen, die für diese Folter eigens gemacht sind, durchlöchern, ihn schreien
lassen und seine ekelhaften, fettigen Haare einzeln ausrupfen.
    Wer ist mein Mörder, gegen den ich
eine solche Wut empfinde, und warum hat er mich auf diese gänzlich unerwartete
Weise umgebracht? Versucht es herauszufinden! Die Welt ist voller gemeiner
Mörder,
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