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Palazzo der Lüste

Palazzo der Lüste

Titel: Palazzo der Lüste
Autoren: Isabell Alberti
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an die zwei Meter große Frau in der klassischen Pose einer Venus, sehr schlank, die weiblichen Formen nur angedeutet. Im Gegensatz zur Venus, die von einem seidigen Tuch umschmeichelt wurde, trug diese Skulptur aber nur einen formlosen Kittel. Ihr Gesichtsausdruck war auch nicht süß und unschuldig, sondern sah aus, als hätte sie in die tiefsten Abgründe der Hölle geblickt. Sie war von einem der Spots angestrahlt. In unmittelbarer Nähe der Skulptur stand eine Steinbank und kreisförmig um sie herum eine Reihe kleinerer Skulpturen.
     
An den Wänden hingen und lehnten Bilder in verschiedenen Größen. Viele davon zeigten mystische Waldlandschaften, und mehr als einmal entdeckte Cecilia einen Baummenschen, so wie offenbar der Stein im Atelier einer werden sollte. Ein Gesicht schaute aus der Rinde heraus, die Haare wurden zu Ästen. Die runzelige Rindenhaut verlieh den Geschöpfen etwas besonders Zerbrechliches. Daneben gab es aber auch Bilder in düsteren Grau-, Braun- und Rottönen, sie sahen aus wie offene Wunden, die niemals heilten, und aus denen das Blut sickerte.
     
Cecilia zuckte bei ihrem Anblick zusammen. Stefano bemerkte ihr Erschrecken und legte ihr die Hände auf die Schultern.
     
Seine Lippen streiften ihr Ohr, als er flüsterte: »Keine Angst. Sie gehören zu meinen dunklen Phasen, aber im Moment besteht keine Gefahr – dein Licht strahlt heller als die Sterne am Himmel.«
     
»Düstere Seiten muss ein Künstler wohl haben.« Sie strich ihm über das Haar, um ihm zu zeigen, dass sie ihn verstand. Sein Haar fühlte sich an wie ein schwarzes, gelocktes Fell, und sie hätte ewig darin herumwühlen mögen.
     
Hand in Hand setzten sie den Rundgang durch den Ausstellungsraum fort. Cecilia konnte kaum einen klaren Gedanken fassen.
     
»Gefällt es dir?« Er drückte einen Kuss auf ihre Schläfe.
     
Der Blick aus seinen grauen Augen war so intensiv, dass sie erkannte, wie viel für ihn von ihrer Antwort abhing.
     
»Und wie. Verkaufst du auch was davon?«
     
»Hin und wieder kommt zufällig jemand vorbei und erwärmt sich für ein Bild. Dein Bruder und seine Auftraggeber sind die einzigen Kunden, die mehr als einmal gekommen sind«, antwortete er selbstironisch.
     
»Das glaube ich nicht.«
     
Statt einer Antwort fuhr Stefano mit dem Finger ihren Hals entlang, verharrte in der Halsgrube. Seine Lippen waren nur Zentimeter von ihren entfernt. Er konnte nicht widerstehen. Als ihre Münder sich fanden, wurden ihre Knie schwach, und sie musste sich an ihn lehnen. Ihre Münder waren wie füreinander gemacht. Er schmeckte süß nach Kaffee, Wein und Mann. Sie öffnete ihre Lippen und lechzte nach dem Spiel ihrer Zungen, sie schlang die Arme um seinen Nacken und versank in diesem Kuss wie eine Erdbeere in der Sahne.
     
Nachdem sich ihre Münder wieder voneinander gelöst hatten, drehte sich Cecilia in Stefanos Armen und betrachtete wieder die Bilder. Seine Nähe ließ sie immer noch schwindeln.
     
»Ich meine es ernst, Stefano.« Sie rieb ihre Wange an seiner Schulter. »Du musst bekannter werden, dann werden dir die Leute deine Bilder und Skulpturen aus den Händen reißen. Du musst eine Ausstellung organisieren – hier in der Scheune, der Ort ist perfekt – und du musst die Presse auf dich aufmerksam machen. Sprich mit Antonio darüber. Er kennt sich aus und hilft dir sicher.«
     
»Wenn du meinst.«
     
»Stefano, es ist mir ernst. Ich sage das nicht einfach nur so.«
     
»Mir ist das hier auch ernst.« Seine Finger schoben sich in den Ausschnitt ihrer Bluse.
     
Das Licht flackerte einmal, zweimal und erlosch – auch der Arbeitsbereich wurde dunkel. Die Bilder und Skulpturen waren nur noch als Schatten zu erkennen. Cecilia schmiegte sich fest in Stefanos Arme.
     
»Auch das noch!«, fluchte er. »Warte. Die Bank muss hier irgendwo stehen. Sei vorsichtig und setze dich.«
     
Er zog sie ein paar Schritte bedrohlich nahe zu der großen Statue.
     
»Nebenan habe ich Kerzen.«
     
Stefano ließ sie allein, und sie fühlte sich verloren wie in einem Meer ohne Rettungsboot.
     
»Beeile dich.« Cecilia konnte das Zittern in ihrer Stimme nicht verhindern. Sie schlang die Arme um ihre Schultern.
     
»Ich bin gleich wieder bei dir.«
     
Sie tastete umher auf der Suche nach der Bank. Ihr Knie stieß an etwas. Es schien eine der kleineren Skulpturen zu sein. Sie wandte sich nach links – da war nichts. Hastig machte Cecilia einen Schritt. Ihre Zehen stießen an etwas anderes, und sie stolperte. Im
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