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Paarungszeit: Roman (German Edition)

Paarungszeit: Roman (German Edition)

Titel: Paarungszeit: Roman (German Edition)
Autoren: Claudia Brendler
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Blick des Standesbeamten würde sie wohl niemals vergessen. So wie Veit Strobl auch nicht vergaß, nach siebenundzwanzig Jahren nicht, dass sie ihn und die hundert wartenden Gäste sitzengelassen hatte. Äußerlich ein Gorilla, war der Veit im Geiste ein Elefant. Jahrzehntelang hatte er versucht, es ihr heimzuzahlen, hatte den amtierenden Bürgermeister auf seiner Seite, der ihr mit allem Schwierigkeiten gemacht hatte, mit ihrem Geschäft, ihrem Café, der Pension. Und jetzt finanzierte Veit Strobl auch noch Fredls Wahlkampf.
    »Woran denkst du, Therese?«
    Matthias – Matt! – lächelte. Wenn er lächelte, sah man die Hamsterbäckchen eigentlich gar nicht. Ihre Gedanken über Veit Strobl wollte sie ihm trotzdem nicht anvertrauen. Sie lächelte vage, und er trank einen Schluck Wein, legte die Hand wieder auf den Tisch, nahe an ihre, die sie diesmal nicht wegzog. Sie spürte die Kälte der Handschelle.
    »Therese?«
    »Ja?«
    Wirklich gepflegt war seine Hand. Die er jetzt auf ihre legte.
    »Was hältst du davon, wenn wir mal den Hochzeitswalzer proben?« Er wies mit einem Kinnrucken Richtung Tanzfläche.
    Die Bar war voller geworden, und einige jüngere Leute sprangen vor der Bühne herum, schlugen sich an die Schenkel und auf die Knie. Ein Pärchen hatte sich mit Handschellen aneinandergefesselt und knutschte. Die Band ging von dem flotten Ländler in ein langsames Lied über, und schon hatte Matt sie hochgezogen, legte ihr einen Arm um die Hüfte. Was sollte das werden? Ein Stehblues? Den letzten Stehblues hatte sie in der zehnten Klasse getanzt, ausgerechnet mit Fredl Weidinger. Aber Matt war über Stehblues erhaben, er ergriff galant ihre linke Hand, in Tanzschulmanier, führte sie im Walzerschritt über die Fläche, zu einer schmeichelnden, langgezogenen Akkordeonmelodie, der die Kapelle folgte, ebenso stockend und stolpernd wie Therese. Zu lang her war der Tanzkurs in Mohnau, und zu stark spürte sie plötzlich die Wirkung des Biers. Wie spät war es eigentlich? Sollte sie Matt fragen, jetzt, da er sie näher an sich zog? Sie roch sein Deo, oder war es Parfüm, etwas Feines, Veilchenhaftes, aber unaufdringlich.
    Er schob sie über die Fläche, drängte sie fast auf diese Melodie zu, die so gar nicht vertraut bayerisch klang, die zu schweben schien über dem schon wieder stampfenden Rhythmus der Band, leicht, erhaben, graziös, wie ein feinziseliertes, schmiedeeisernes Balkongitter an einem bäuerlichen Holzhaus. Näher tanzten sie an die Bühne heran, und für einen Moment sah Therese den Akkordeonisten, er hatte sich erhoben, stand am Bühnenrand, seine blonde Perücke war verrutscht, und er presste sein Instrument, das ihr seltsam klein erschien, an eine weiße Blusenbrust. Als Einziger in der Band trug er kein Dirndl, nur Bluse und Trachtenrock, und er spähte in die Menge der Tanzenden, als suchte er etwas. An ihr blieb sein Blick hängen, nur einen Moment, grün waren seine Augen, in einem dunklen Gesicht, Bartschatten unter dem Make-up, das …
    Bevor sie mehr sehen konnte, trat der Trompeter einen Schritt vor, setzte schmetternd ein.
    »Entschuldige mich bitte einen Moment!« Warum ließ Matt sie so plötzlich los? Die süße Melodie brach ab, dafür wurde das Trompetensolo lauter, der Schlagzeuger drosch auf seine Becken ein, die jungen Leute kreischten. Wo war Matt? Verschwunden zwischen den Tanzenden. Die Musik hörte auf, mit einem letzten Beckenschlag.
    »Wir machen eine kleine Pause«, sagte der Trompeter, irgendetwas rumpelte, und die eben noch Tanzenden strömten zurück, rissen die Tür nach draußen auf. War Matthias schlecht geworden? Vom Rotwein? Verwirrt griff Therese nach ihren Zigaretten in der Handtasche, nestelte eine aus der Packung. Gut, dann würde sie eben eine rauchen. Sie rauchte nur noch selten. In außergewöhnlichen Momenten. Oder Zuständen. Wie jetzt. Mal sehen, ob Matthias sie fand. Ihr am Ende sogar Feuer gab. Sie folgte den jungen Leuten nach draußen. Wie fern die Sterne waren, unnahbarer als in Neuenthal, getrennt von ihr durch eine Lichtbarriere, rosa und grün zuckten Scheinwerfer vom Platz gegenüber, wo das Fest stattfand, eine Rockband spielte. Die jungen Leute alberten herum, wie eben auf der Tanzfläche, sie trat ein paar Schritte beiseite vor eine Stahltür mit der Aufschrift: Bühne. Daneben eine Toreinfahrt, dann die nächste Bar. Wummernde Bässe von innen. Sie gab sich selbst Feuer, rückte ihren Hut zurecht, den sie nicht abgesetzt hatte, weder im Lokal noch
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