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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
Autoren: Tad Williams
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Glücksgefühl nachzuempfinden. Doch jetzt schien er derjenige zu sein, der in die von ihr ersehnte Welt hineingepurzelt war, eine Welt – Tausende von Generationen vor selbst der ewig weit zurückliegenden Kindheit seiner Großmutter –, von der sie nur träumen konnte.
    Ja, wenn Oma Jonas das hätte sehen können, dachte er. Wie hätte sie sich gefreut. Das hier ist wirklich der Anfang – lange, lange vor den korrupten Politikern und den widerlichen Shows im Netz und den rüden und vulgären Umgangsformen der Leute und den ganzen ausländischen Restaurants, wo man Sachen vorgesetzt bekam, die sie nicht aussprechen konnte. Sie hätte sich gefühlt wie im Himmel.
    Allerdings, mußte er zugeben, würde sie sich schwertun, eine gute Tasse Tee zu bekommen.
    Die Leute vom Menschenstamm zogen scheinbar ohne jede Marschordnung am Rand eines Bergwaldes einen langen, tief verschneiten Abhang hinunter, aus dem hier und da schroffe Kalksteinfelsen herausstanden. Schlanke Baumschatten querten ihren Pfad wie Markierungen für eine noch zu bauende Treppe. Das Licht verglomm rasch, und der Himmel, über dem das weiche Grau einer Taubenbrust gelegen hatte, nahm einen kälteren, dunkleren Ton an. Paul fragte sich plötzlich zum erstenmal, nicht in welcher Zeit er sich befand, sondern an welchem Ort.
    Hatte es überall Neandertaler gegeben oder nur in Europa? Er konnte sich nicht mehr erinnern. Das wenige, was er über die vorgeschichtliche Menschheit wußte, bestand aus zusammenhanglosen Einzelheiten wie auf Ratespielkarten – Höhlenmalerei, Mammutjagd, mühsam von Hand abgeschlagene Steingeräte. Es war frustrierend, daß sein Gedächtnis nicht mehr hergab. Die Leute in Science-Fiction-Filmen schienen immer nützliche Dinge über die Gegenden im Kopf zu haben, durch die ihre Zeitreisen führten. Wie aber, wenn der Zeitreisende in der Schule in Geschichte nie besonders gewesen war? Was dann?
    Es kamen jetzt mehr Kalksteinfelsen, große Platten, die sich seitlich aus dem Boden zu schieben schienen, schattenhafte Rechteckformen, die im Dämmerlicht weniger hell schimmerten als der allgegenwärtige Schnee. Läuft-weit ließ sich in eine langsamere Gangart fallen und die übrige Gruppe vorbeieilen, bis Paul am Ende der Schlange ihn eingeholt hatte. Der bärtige Jäger gesellte sich wortlos zu ihm, und Paul, der ziemlich außer Atem war, hatte nichts dagegen.
    Als sie um einen großen Felsvorsprung bogen, sah Paul warmes gelbes Licht auf den Schnee fallen. Seltsame knorrige Gestalten, die mit verformten Händen Speere umklammert hielten, standen als dunkle Silhouetten in einer breiten Öffnung in der Felswand, und im ersten Schreck mußte Paul an Märchen über Trollbrücken und Feenhügel denken. Läuft-weit faßte ihn am Ellbogen und schob ihn weiter; als er den Höhleneingang erreicht hatte, sah er, daß die Wächter nur vom Alter gebeugte Mitglieder des Menschenstammes waren, die zurückgelassen worden waren, um den heimischen Herd zu schützen wie Großbritanniens Home Guard in Kriegszeiten.
    Der Jagdtrupp wurde sofort umringt, nicht nur von diesen greisen Wächtern, sondern auch von einem Strom in Felle gemummter Frauen und Kinder, die allesamt redeten und gestikulierten. Die Verletzungen von Weint-nie wurden mit vielen Bekundungen des Mitgefühls untersucht. Paul rechnete halb damit, daß sein Erscheinen abergläubische Panik auslösen würde, aber obwohl alle ihn mit einem Interesse beäugten, das von ängstlich bis fasziniert reichte, war er deutlich weniger wichtig als das Fleisch und die Geschichten, die die Jäger mitbrachten. Die Gruppe verzog sich vom Rand der Höhle und begab sich aus dem kalten Wind in das flackernde, rauchige Innere.
    Auf den ersten Blick sah der Wohnsitz der Menschen am ehesten wie ein Heerlager aus. Aus Häuten gefertigte Zelte standen in einer Reihe mit dem Rücken zum Höhleneingang wie eine Herde von Tieren, die sich vor dem Wind zusammendrängten. Dahinter befand sich, von den Zelten geschützt, ein zentraler Bereich mit einer Mulde im Boden, in der ein großes Feuer brannte, ein natürlicher Kalksteinsaal, niedrig, aber weitläufig. Die wenigen Frauen, die drinnen geblieben waren, um auf das Feuer zu achten, blickten jetzt auf, lachten und riefen den heimkehrenden Jägern Bemerkungen zu.
    Die übrigen vom Menschenstamm sahen ganz ähnlich aus wie die Männer, mit denen er gekommen war, klein und stämmig gebaut und mit Gesichtszügen, die bis auf die wulstigen Brauen und die breiten Kinnladen
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