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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
Autoren: Tad Williams
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Verstümmelungen vorzuweisen.
    Es stirbt sich leicht hier, dachte er bei sich, deshalb muß einem alles darunter schon wie ein Sieg vorkommen.
     
    Nachdem sie ihn abgehäutet hatten, zerlegten die Neandertaler den Hirschkörper mit ihren Feuersteinmessern flink und geschickt in große Stücke und wickelten die Innereien und selbst die Knochen zum Mitnehmen in das noch dampfende Fell. Die Menschen, wie sie sich selbst nannten, ließen nichts verkommen.
    Als die Arbeit dem Ende zuging, richteten einige der Männer ihr Augenmerk wieder auf Paul, vielleicht um zu sehen, ob der Fremde, den sie aus dem zugefrorenen Fluß gerettet hatten, von ihrer Tapferkeit auch gebührend beeindruckt war. Nur der mit dem Namen Vogelfänger betrachtete ihn mit offenem Mißtrauen, aber alle wahrten Abstand. Da er weder bei der Erlegung noch bei der Zerteilung des Hirsches mitgewirkt hatte, kam Paul sich besonders nutzlos vor und war deshalb dankbar, als Läuft-weit zu ihm trat. Der Anführer der Jagd war bislang der einzige, der mit Paul sprach. Jetzt streckte er eine blutbesudelte Hand aus und hielt dem Fremden einen Streifen dunkelrotes Fleisch hin. Durchaus empfänglich für die freundliche Geste nahm Paul das Fleisch entgegen. Es war eigentümlich geschmacklos, als ob man blutgesalzenes Gummi kaute.
    »Der Baumgehörnte hat wacker gekämpft.« Läuft-weit steckte sich das nächste Stück in den Mund. Als es nicht ganz hineinging, schnitt er den Rest mit seinem Steinmesser ab und behielt es in der Hand, bis er den ersten Happen verdrückt hatte. Er grinste und zeigte dabei eine Reihe abgewetzter und schartiger Zähne. »Wir haben jetzt viel Fleisch. Die Menschen werden sich freuen.«
    Paul nickte und wußte nicht recht, was er sagen sollte. Ihm war etwas Merkwürdiges aufgefallen: Die Sprache der Jäger war ein gut verständliches Englisch, was bei einer Gruppe altsteinzeitlicher Jäger eigentlich äußerst unwahrscheinlich war. Gleichzeitig schienen ihre Lippenbewegungen zu dem, was sie sagten, nicht ganz zu passen, als ob er mitten in einen gut, aber nicht völlig perfekt synchronisierten ausländischen Film hineingestolpert wäre.
    Wirklich, es machte den Eindruck, als hätte er eine Art Übersetzungsimplantat eingesetzt bekommen, so wie sein alter Studienfreund Niles bei seinem Eintritt in den diplomatischen Dienst. Aber wie hätte das sein können?
    Zum fünften oder sechsten Mal an diesem Tag wanderten Pauls Finger zu seinem Halsansatz am Hinterkopf und tasteten nach der Neurokanüle, von deren Nicht-Vorhandensein er sich längst überzeugt hatte, fühlten wieder nur kalte Gänsehaut. Er hatte niemals Implantate haben wollen und den Trend auch dann noch abgelehnt, als die meisten seiner Freunde schon längst welche besaßen, und doch kam es ihm jetzt so vor, als hätte ihm jemand eines ohne seine Zustimmung verpaßt – und es zudem noch verstanden, die physische Existenz des Dings vollkommen zu verbergen.
    Wer könnte sowas machen? fragte er sich. Und warum? Und vor allen Dingen, wo um Gottes willen bin ich hier?
    Er hatte die ganze Zeit immer wieder darüber nachdenken müssen, ohne einer Antwort näher gekommen zu sein. Er schien durch Raum und Zeit zu gleiten wie eine Figur aus einer besonders phantasiefreudigen Science-fiction-Story. Er war, erinnerte er sich, in einer Marswelt wie aus einem alten Abenteuerheftchen und in einer völlig hirnrissigen Version von Alices Land hinter den Spiegeln herumgeirrt. Er hatte noch andere unwahrscheinliche Orte gesehen – die Einzelheiten waren verschwommen, aber dennoch zu vollständig, um lediglich Traumreste zu sein. Doch wie war das möglich? Wenn jemand Kulissen bauen und Schauspieler anheuern wollte, um ihn derart gründlich hinters Licht zu führen, würde das Millionen – Milliarden! – kosten, und so sehr er sich auch bemühte, er konnte bei keinem dieser vermeintlichen Schauspieler den geringsten Riß in der Fassade entdecken. Genausowenig konnte er sich vorstellen, weshalb irgend jemand solche Unsummen auf ein Nichts wie ihn verschwenden sollte, einen Hilfskustos in einem Museum, der weder einflußreiche Freunde noch besonders tolle Zukunftsaussichten hatte. Auch wenn die Stimme aus der goldenen Harfe das Gegenteil behauptet hatte, dies alles mußte real sein.
    Es sein denn, man hätte ihn irgendwie einer Gehirnwäsche unterzogen. Das war nicht auszuschließen. Eine Art Drogenexperiment vielleicht – aber warum? In seinem Gedächtnis klaffte nach wie vor eine Lücke, in der
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