Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ostseefluch

Titel: Ostseefluch
Autoren: Eva Almstädt
Vom Netzwerk:
schloss dann die Tür. Hauke Andersen ließ es geschehen. Gott sei Dank. Sie hörte, wie er die Treppe hinunterstürmte. Pia stand hinter der geschlossenen Tür und ertappte sich dabei, wie sie mit den Fingernägeln gegen ihre Schneidezähne klopfte. Kopfschüttelnd ließ sie die Hand wieder sinken. Sollte sie die Kollegen über Andersens unverhofften Besuch informieren? Wer auch immer jetzt noch im Dienst war. Dass Zeugen vor ihrer Wohnungstür auftauchten, war eine entschieden unangenehme Erfahrung.
    Ihr Telefon lag auf dem Küchentisch. Pia ging in die Küche und griff nach dem Apparat. Sie überlegte, wessen Durchwahl sie nehmen könnte. Doch was sollte dieser Anruf überhaupt bewirken? Nun, da Andersen weg war, schien der Vorfall schon nicht mehr so gravierend zu sein. Es war ungewöhnlich still im Raum, in ihrer Wohnung, im Haus und im angrenzenden Hof. Dabei herrschte hier nur selten totale Stille. Immer hörte oder machte jemand Musik, duschte, betätigte eine Klospülung, stritt sich mit seinem Partner oder vergnügte sich mit ihm. Es ist nur deshalb so still, weil die Balkontür geschlossen ist, überlegte Pia. Hatte der Wind sie zugeweht? Pia wollte sie gerade wieder öffnen, als sie hinter sich ein Rascheln hörte. Sie fuhr herum, noch in der Annahme, dass sie sich das Geräusch nur eingebildet hatte.
    Da stand ein Mann neben der Küchentür und sah sie an.
    Pia unterdrückte einen Aufschrei. Sie kannte ihn. Diese Erkenntnis beruhigte sie im ersten Moment. Das blonde, wellige Haar, die desillusioniert blickenden Augen. Es war Jesko Ebel, der Journalist. »Was wollen Sie denn hier?«, stieß sie hervor.
    Er lächelte, das hieß, seine Mundwinkel zuckten und er zeigte die Zähne. Seine Haltung erinnerte Pia an die Katze ihres Nachbarn Andrej, wie sie manchmal vor der Hecke im Hinterhof vor einem Spatzennest lauerte. Das Offensichtliche schien nur ganz langsam in ihr Bewusstsein zu dringen. War es wichtig, dass er ein Sweatshirt mit über den Kopf gezogener Kapuze trug, eine Sporthose, Kletterschuhe, Handschuhe? In der rechten Hand hatte er etwas, das wie ein Zimmermannshammer aussah. Das ... war ... gar nicht gut.
    Pia wich zurück, versuchte, den Küchentisch zwischen sich und den Eindringling zu bringen. Seit Felix’ Unfall waren ihre Küchenmesser stets gewissenhaft verstaut. Mist!
    Du musst mit ihm reden, dachte sie. Aber ein Blick in seine Augen ließ sie daran zweifeln, dass Worte ihn erreichen würden.
    Er trat einen Schritt auf sie zu.
    »Stopp!«, schrie sie ihn an. »Verschwinden Sie, auf der Stelle!«
    Er hätte sofort zuschlagen können, dachte sie. Von hinten. Es wäre einfach gewesen. Vielleicht war er so eitel zu wollen, dass sie ihren Mörder sah. Nun hatte er zu lange gezögert. Das war ihre Chance. Ihre einzige. Und Felix lag nebenan! Im Bruchteil einer Sekunde jagten die Gedanken durch Pias Kopf. Würde sie jemand hören, wenn sie schrie? Wohl kaum. Ebel hatte ja wohlweislich die Balkontür geschlossen. Er musste über den Balkon gekommen sein – irgendwie. Deshalb auch die Kletterschuhe.
    »Das hättest du nicht gedacht, oder?«, fragte er leise. »Wie blöd ihr wart! Es war ein Kinderspiel. Milena hat mich genauso angesehen wie du jetzt, bevor ich ihr den Schädel zertrümmert habe. Es hört sich komisch an: knack-knirsch. Ein bisschen wie die Schale eines Frühstückseis.«
    »Aber es war eine andere Waffe«, sagte Pia. Sie blickte auf den Hammer. Rede mit ihm! Versuche, Zeit zu gewinnen! »Warum hast du das getan?«
    »Ihr wisst es immer noch nicht?« Er ging zwei Schritte auf sie zu. Noch war der Tisch zwischen ihnen. Ein kleiner Tisch, achtzig mal achtzig Zentimeter, kein Möbelstück, dem Pia ihr Leben anvertrauen wollte.
    »Dabei dachte ich, mein geschwätziger alter Kumpel Helge hätte alles verraten. Oder Patrick ... Der weiß auch Bescheid. Allerdings hasst der die Cops.« Ebel starrte sie misstrauisch an. »Vielleicht hat er bei dir ja eine Ausnahme gemacht? Ihr habt immer noch keine Ahnung, was Rudolf Ingwers getan hat? Ich wollte ihm nur das nehmen, was er mir genommen hat: die Frau, die ich liebe, und mein Kind!«
    »Welche Frau, welches Kind?«
    Er blies zischend die Luft aus. »Nina. Sie ist meine Freundin. Wir wollten heiraten. Sie hat in Ingwers’ Gärtnerei gearbeitet. Und sie hat ein Kind von mir erwartet. Unser Kind. Aber er hat sie weiterhin diesem Giftzeug ausgesetzt. Das Kind ... unsere winzige Tochter, ist im Mutterleib gestorben. Nina musste sie tot zur Welt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher