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Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut

Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut

Titel: Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut
Autoren: Eva Almstädt
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die an einem Bushaltestellenhäuschen herumlungerten, rauchten und Alkohol tranken. Sie waren … nicht älter als dreizehn oder vierzehn Jahre …«, begann er mit sorgfältig gewählten Worten. Er wusste, dass er auf diese Art und Weise spontan rüberkam, ehrlich besorgt. Er fühlte das aufkeimende Interesse. Es war ein Thema, das die Leute hier betraf, ein Thema, das Emotionen weckte. Er sah eine Armbewegung weit links, die ihn irritierte, hörte einen Zwischenruf, der auf »… du Sau!« endete. Dann klatschte etwas kurz vor dem Rednerpult zu Boden.
    Er durfte nicht zeigen, dass er irritiert war. Ignorieren – weiter im Text! Sollten sich seine Parteifreunde darum kümmern! Eines Tages würde er richtige Security haben … oder gleich ein paar Leute vom BKA im Hintergrund. Er riss sich zusammen. »Es sind unsere Kinder, die die Zukunft unseres Landes in den Händen halten. Ihre Tochter, Ihr Enkelsohn! Unsere Zukunft wird leichtfertig …« Schon wieder sah er eine Bewegung links von sich an der Seite des Saals. Einer seiner Leute neben der Bühne bellte einen kurzen Befehl zu einem Kollegen im Hintergrund des Raumes. »Jawohl … leichtfertig und um ein paar Euro einzusparen, aufs Spiel gesetzt. Euro, die anderswo verplempert werden! Ich sage nur …«
    Klatsch! Etwas spritzte zu seinen Füßen auf, doch er konnte nicht hinuntersehen, er musste weiterreden, die Leute mitreißen, ablenken von den Störenfrieden. »Ich frage Sie: Wofür arbeiten Sie, arbeite ich, arbeiten wir alle tagaus, tagein hart und bezahlen unsere Steuern, wenn nicht für …«
    Klatsch! Einer seiner Leute war von einer Tomate getroffen worden. Der hellrote Saft und die weißlichen Kerne rannen seine Stirn und seinen kahl geschorenen Schädel hinunter bis auf den Kragen seines hellblauen Hemdes. Das ging zu weit! Sie hätten ja seinen Kopf treffen können – und das hatten sie sicherlich auch beabsichtigt. Das konnte er nicht ignorieren, wenn er authentisch rüberkommen wollte.
    »Wie immer, wenn sich jemand für das Wohlergehen seiner Mitmenschen einsetzt, gibt es Neider und Störenfriede, die das nicht zulassen wollen!« Er wandte den Blick halb nach links, wo jetzt richtig Bewegung in der Menschenmenge war. Etwas flog hoch durch die Luft auf ihn zu, er duckte sich, hörte es hinter sich aufschlagen, und ekliger Gestank breitete sich aus. Ein faules Ei? Wut schwappte in ihm hoch, doch unkontrollierte Aggression war schlecht, ganz schlecht. Er ballte wieder seine Rechte zur Faust, sodass seine Fingernägel in die Handfläche schnitten, und entspannte sie bewusst wieder. Bevor er weitersprach, versuchte er, seine Stimme ein wenig tiefer zu drücken. »Wie auch hier! All diese Leute wollen hören, was ich zu sagen habe, aber du«, er zeigte in die Richtung, in der er den Eierwerfer vermutete, »kannst nur feige aus dem Hinterhalt agieren! Wenn du etwas zu sagen hast, dann komm hier rauf zu mir auf die Bühne. Komm hoch und stelle dich einer Diskussion! Von Mann zu Mann, hey, du!«
    Wieder flog etwas durch die Luft und traf Waskamp hart am Oberarm. Sein wutschnaubendes »Au verdammt, verfluchte Sch… noch mal!« wurde vom Mikrofon kristallklar bis in die hinterste Ecke des Saals übertragen.
    Ein paar Leute lachten, andere brachten sich kopfschüttelnd vor den vermehrt fliegenden Tomaten, Eiern und, ja … mit Wasser gefüllten Kondomen in Sicherheit. Dies war sein Auftritt, seine Rede, sein Tag, und die Leute lachten über ihn!
    »Unternehmen Sie endlich was!«, schnauzte er den nächstbesten seiner Leute an, der an der Bühne stand.
    »Die Situation gerät außer Kontrolle«, wurde er mit ätzender Stimme informiert. Fast so, als wäre das seine Schuld.
    »Das sehe ich selbst! Tun Sie endlich was!«
    »Es sind zu viele. Kommen Sie von der Bühne runter, Herr Waskamp. Die Veranstaltung ist zu Ende.«
    »Ich bin hier, weil ich für meine Überzeugungen einstehe. Und Sie sollten das auch tun«, rief er ins Publikum. Zu spät merkte er, dass nun doch jemand sein Mikrofon ausgeschaltet hatte. Wütend hob er die Stimme: »Ich bitte Sie! Lassen Sie sich doch nicht von ein paar Randalierern und arbeitsscheuem Gesindel den Weg diktieren.« Seine Stimme schnappte über, aber es war ihm egal. »Das ist es doch, was die wollen: Chaos und Zerstörung, während ich für Wohlstand und Gerechtigkeit einstehe!« Seine Stimme war nur noch ein Krächzen, während die Rufe im Saal immer lauter wurden. Als ihn ein weiteres Kondom an der Schulter traf und er
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