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Osiris Ritual

Osiris Ritual

Titel: Osiris Ritual
Autoren: George Mann
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Agenten. Nicht nur das – Newbury staunte auch, dass der Mann eine
so weite Reise mit dem Zug und nicht mit dem Luftschiff gemacht hatte. Er
musste Tage, wenn nicht Wochen unterwegs gewesen sein und die Nächte in überfüllten,
viel zu lauten Absteigen verbracht haben. Vielleicht hatte sich der Mann auch
in Russland an so etwas gewöhnt, als er verdeckt gearbeitet und jeden Anspruch
auf Bequemlichkeit abgelegt hatte. Ob es dem Agenten schwerfallen würde, sich
nach so vielen Jahren im Ausland, inmitten einer anderen Gesellschaft und einer
fremden Kultur, wieder an das Leben in London zu gewöhnen?
    Er sah sich um, seufzte und zog die Times unter dem Arm hervor, schüttelte das Blatt, bis es sich öffnete, und überflog
die Schlagzeilen. Lächelnd entdeckte er nun, was ihm zuvor am Morgen, als er
sich die Zeitung vom Silbertablett im Flur geschnappt hatte, entgangen war. Die
größte Schlagzeile lautete: DAS GEHEIMNIS DER KREISCHENDEN MUMIE , und der
    Artikel darunter stammte von Mr.  G . Purefoy. Die
Titelseite! Newbury kicherte in sich hinein. Purefoy hatte seine Sache gut gemacht.
    Dann überflog er den Artikel. Der leicht sensationsheischende Ton des
Textes lief seinem literarischen Stilgefühl zuwider, aber man konnte sofort
erkennen, dass der Beitrag ein Musterbeispiel für die Kunst des Journalismus
war. Er war aufschlussreich und enthielt viele Überlegungen, die auch Newbury
selbst im Laufe des Abends angestellt hatte. Newbury war von Purefoy
beeindruckt. Der Junge hatte anscheinend einen guten Blick fürs Detail.
Möglicherweise konnte aus ihm eines Tages ein guter Agent werden. Newbury
beschloss, dies bei seiner nächsten Audienz bei der Königin zu erwähnen. Nicht,
dass er Zeit gehabt hätte, einen Lehrling auszubilden.
    Er schaute von der Zeitung auf, als der Zug kreischend in den
Bahnhof einfuhr, faltete sie zusammen und klemmte sie sich wieder unter den
Arm, während die riesige grüne Maschine schnaufend vor dem Puffer anhielt. Die
Waggons liefen klirrend aufeinander auf. Als sich die dünnen Holztüren der
Abteile öffneten und die Passagiere ausstiegen, arbeitete er sich langsam nach
vorn. Der Agent sollte ihn im verabredeten Abteil erwarten.
    Newbury wich dem Gedränge aus, das entstand, als zahlreiche Reisende
eilig den Bahnsteig verlassen wollten, und lief an den Waggons entlang, bis er
die richtige Nummer gefunden hatte. Es war ein Erster-Klasse-Abteil im vorderen
Teil des Zuges. Durch die schmutzigen Fenster konnte er nicht viel erkennen.
Anscheinend war während der Reise viel Dreck und Schmutz hochgespritzt. Drinnen
bewegten sich schemenhafte Gestalten, die alle den kürzesten Weg zum Ausgang
suchten. Nachdem eine junge Dame in einem wallenden gelben Kleid den Waggon verlassen
hatte, stieg Newbury die Treppe hinauf.
    Der Vorraum war klein, der Waggon selbst besaß drei getrennte
Abteile, die an einem langen Durchgang lagen. Jedes Abteil hatte eigene Fenster
und eine Tür. Der Waggon war mit dunklem Holz vertäfelt und wirkte recht
bequem, doch hing ein säuerlicher Geruch in der Luft, den Newbury nicht
einordnen konnte. Er legte den Handrücken vor das Gesicht, um den Geruch
abzuhalten, schob sich durch den Gang und blickte in ein leeres Abteil. Dort
hatte vermutlich die Dame im gelben Kleid gesessen. Er fragte sich, was sie von
dem Geruch gehalten hatte.
    Neben dem leeren Abteil lag ein weiteres, das dem ersten glich, nur
dass hier die Jalousien vor die Fenster und die verglaste Tür gezogen waren.
Newbury überprüfte das kleine Messingschild neben dem Türgriff: 3 B . Er klopfte laut an den Holzrahmen. Niemand antwortete.
Er klopfte abermals, dann drehte er den Türknauf herum und drückte die Tür nach
innen auf.
    Â»Hallo?«
    Der kleine Raum schien leer zu sein, wenn man von zwei langen
Lederbänken an den Wänden und den Gepäckfächern über den Sitzen absah. Beide
waren leer. Newbury blickte hin und her und rümpfte die Nase. Der Geruch, den
er schon beim Betreten des Waggons bemerkt hatte, war hier viel stärker. Es
stank nach verwestem Fleisch. Er würgte und griff automatisch nach dem
Taschentuch in der Jackentasche, um es sich vor Mund und Nase zu pressen, doch
auch das Tuch konnte ihn nicht schützen. Er fragte sich, woher ein so übler
Geruch rühren mochte. Es war, als hätte jemand ein totes Tier im Abteil
verwesen lassen, oder als wäre es
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