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orwell,_george_-_tage_in_burma

Titel: orwell,_george_-_tage_in_burma
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dabei klang es fröhlich, sogar kindlich. Er sagte nichts weiter über die ›andere Angelegenheit‹, die selbst für ein Gespräch auf der Veranda zu privat war. Als Ba Sein merkte, daß die Unterredung beendet war, stand er auf und verbeugte sich eckig wie ein mit einem Gelenk versehenes Lineal.
    »Wünscht Euer Ehren sonst noch etwas?« fragte er. »Vergewissere dich, daß Mr. Macgregor den heutigen Burma-
    Patriot zu sehen bekommt. Hla Pe solltest du lieber sagen, er soll einen Ruhranfall bekommen und nicht ins Büro gehen. Ich brauche ihn für die anonymen Briefe. Das wäre für den Augenblick alles.«
    »Dann darf ich gehen, Sir?«
    »Gott sei mit dir«, sagte U Po Kyin etwas zerstreut, und gleich darauf rief er wieder nach Ba Taik. Er verschwendete keinen Augenblick seines Tages. Er brauchte nicht lange dazu, die anderen Besucher abzufertigen und das Dorfmädchen ohne Lohn wegzuschicken, nachdem er ihr Gesicht gemustert und gesagt hatte, er erkenne sie nicht. Jetzt war Frühstückszeit. Schmerzhafte Hungergefühle, die ihn jeden Morgen pünktlich um diese Stunde überkamen, begannen seinen Leib zu peinigen. Er rief dringlich:
    »Ba Taik! Heh, Ba Taik! Kin Kin! Mein Frühstück! Mach schnell, ich verhungere.«
    Im Wohnzimmer hinter dem Vorhang war bereits der Tisch gedeckt: eine riesige Schüssel Reis und ein Dutzend Schälchen mit Curry, getrockneten Garnelen und Scheibchen von grünen Mangopflaumen. U Po Kyin watschelte zum Tisch, ließ sich grunzend nieder und fiel sofort über das Essen her. Seine Frau Ma Kin stand hinter ihm und bediente ihn. Sie war eine hagere Frau von fünfundvierzig Jahren mit einem freundlichen, hellbraunen Affengesicht. U Po Kyin beachtete sie nicht, während er aß. Die Schüssel dicht unter der Nase, stopfte er schnell atmend mit flinken, fettigen Fingern die Speisen in sich hinein. All seine Mahlzeiten waren flink, leidenschaftlich und enorm, weniger Mahlzeiten als Orgien, Schwelgereien in Curry und Reis. Als er fertig war, lehnte er sich zurück, rülpste ein paarmal und befahl Ma Kin, ihm eine grüne burmanische Zigarre zu holen. Er rauchte nie englischen Tabak, der, wie er erklärte, keinen Geschmack hatte.
    Bald darauf z og U Po Kyin mit Ba Taiks Hilfe seinen Büroanzug an; dann stand er eine Weile vor dem hohen Spiegel im Wohnzimmer und bewunderte sich. Es war ein holzgetäfelter Raum mit zwei Säulen, noch als Teakholzstämme erkennbar, die den Firstbalken trugen; es war dunkel und schlampig darin wie in allen burmanischen Zimmern, obgleich U Po Kyin es nach ›Ingaleik‹- Mode eingerichtet hatte mit einem furnierten Büfett und passenden Sesseln, einigen Lithographien von der königlichen Familie und einem Feuerlöscher. Auf dem Fußboden lagen Bambusmatten, die mit Limonen- und Betelsaft befleckt waren.
    Ma Kin saß in der Ecke auf einer Matte und nähte an einem Ingyi. U Po Kyin drehte sich langsam vor dem Spiegel und bemühte sich, einen Blick auf seine Rückseite zu werfen. Er trug einen Gaungbaung aus hellrosa Seide, einen Ingyi aus gestärktem Musselin und einen Paso aus Mandalay- Seide, einem prachtvollen lachsfarbenen, gelb gemusterten Brokat. Mit Anstrengung drehte er den Kopf und betrachtete wohlgefällig den stramm und glänzend sein riesiges Hinterteil bedeckenden Paso. Er war stolz auf seine Beleibtheit, weil die Masse Fleisch für ihn ein Symbol seiner Größe war. Er war einst ein unbekannter Hungerleider gewesen - jetzt war er dick, reich und gefürchtet. Er fühlte sich geschwellt von den Leibern seiner Feinde - ein Gedanke, aus dem er etwas sog, was der Poesie sehr nahe kam.
    »Mein neuer Paso war billig - nur zweiundzwanzig Rupien, heh, Kin Kin?« fragte er.
    Ma Kin beugte den Kopf über ihre Näharbeit. Sie war eine schlichte, altmodisc he Frau, die noch weniger über europäische Gewohnheiten gelernt hatte als U Po Kyin. Sie konnte nicht ohne Mißbehagen auf einem Stuhl sitzen. Jeden Morgen ging sie, einen Korb auf dem Kopf, zum Basar wie eine Bauernfrau, und abends konnte man sie in ihrem Garten knien sehen, wo sie zu dem weißen Turm der Pagode betete, welche die Stadt krönte. Seit mindestens zwanzig Jahren vertraute U Po Kyin ihr seine Intrigen an.
    »Ko Po Kyin«, sagte sie, »du hast in deinem Leben sehr viel Böses getan.«
    U Po Kyin machte eine abwehrende Handbewegung. »Was schadet das? Meine Pagoden werden alles wiedergutmachen. Ich habe noch viel Zeit.«
    Ma Kin beugte den Kopf wieder über ihre Näharbeit, sie hatte einen eigensinnigen
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