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Ordnungszahl 120

Ordnungszahl 120

Titel: Ordnungszahl 120
Autoren: K. H. Scheer
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ihn über­le­gend an, ehe ich den Kopf schüt­tel­te. Der Arzt nick­te und leg­te ei­ne ste­ri­le De­cke über die Brust des Man­nes, den ich als Kuang-Tsin ken­nen­ge­lernt hat­te.
    Nach zehn Mi­nu­ten be­gan­nen plötz­lich sei­ne Lip­pen zu zu­cken. Selt­sa­mer­wei­se ver­such­te er nicht zu at­men, was ei­ne Fol­ge­er­schei­nung des me­di­zi­ni­schen Phä­no­mens sein muß­te. Sein Le­ben hing nur noch an den Ma­schi­nen.
    Ich rief ihn an. Zu­erst lei­se und fra­gend, dann mit drän­gen­dem Un­ter­ton. Er muß­te mich hö­ren, dar­an gab es kei­nen Zwei­fel.
    Ich nann­te den Na­men, un­ter dem ich ihm vor zwei Jah­ren be­kannt ge­wor­den war. Ich er­wähn­te Din­ge, die nur ich wis­sen konn­te und wie­der­hol­te Wor­te, die er selbst ge­sagt hat­te.
    Es dau­er­te un­end­lich lan­ge, bis er ei­ni­ge un­kla­re Lau­te for­mu­lie­ren konn­te. Dicht vor sei­nem Mund hing das hoch­emp­find­li­che Mi­kro­phon. Das Band­ge­rät lief ru­hig und gleich­mä­ßig.
    »Dr. Kuang-Tsin, hö­ren Sie mich? Be­we­gen Sie Ih­re Lip­pen. Hö­ren Sie mich?« dräng­te ich wei­ter. Dann ka­men die ers­ten ver­ständ­li­chen Lau­te aus sei­nem Mund. Er sprach Eng­lisch; al­so muß­te er er­kannt ha­ben, wer vor ihm stand.
    »Dok­tor, was für ein In­ter­es­se ha­ben Sie an dem Trans­uran, dem wir die Ord­nungs­zahl hun­dertzwan­zig ge­ge­ben ha­ben? Wol­len Sie mei­ne Fra­ge be­ant­wor­ten?«
    Kuang-Tsin dach­te an­ge­strengt nach und gab sich an­schei­nend große Mü­he, mei­ne Fra­ge rich­tig zu ver­ste­hen.
    Ich setz­te mei­ne Be­mü­hun­gen fort.
    »Was woll­ten Sie mit dem neu­en Ele­ment? Wer hat es Ih­nen ge­ge­ben? Was bezweck­te Ih­re Ak­ti­on? Ge­ben Sie mir einen Hin­weis.«
    Dok­tor Fi­lus sah mich war­nend an. Sei­ne Mie­ne wur­de im­mer be­sorg­ter.
    »Be­ei­len Sie sich«, flüs­ter­te er. »Die Com­pres­sio ce­re­bri ist schon ein­ge­tre­ten. Wir kön­nen kei­ne Ent­las­tung brin­gen. Die Druck­stei­ge­rung muß zum To­de fuh­ren.«
    Er hat­te sehr lei­se ge­spro­chen, doch Kuang-Tsin schi­en den Sinn der Wor­te er­faßt zu ha­ben. Wahr­schein­lich ahn­te er auch, daß er un­ter kei­nen Um­stän­den mehr zu ret­ten war.
    Plötz­lich ent­ström­ten sei­nem ver­zerr­ten Mund die Wor­te, auf die ich sehn­lichst ge­war­tet hat­te. Die Lau­te wa­ren kaum ver­ständ­lich, doch ich konn­te sie bei ge­nau­em Hin­hö­ren ei­ni­ger­ma­ßen deu­ten.
    »Wo­zu brauch­ten Sie das Trans­uran?« frag­te ich er­neut. Mein Mund war dicht über sei­nem Ohr.
    »Tor … Tor zur Höl­le«, rö­chel­te der Ster­ben­de. »Ge­hen Sie. Nur er weiß es. Ord… Ord­nungs­zahl hun­dertzwan­zig. Auf­pas­sen, sta… sta­bi­le Me­so­nen. Kein Be­vat­ron. Ich …«
    In ver­krampf­ter Hal­tung stand ich über den stam­meln­den Mund ge­beugt, der plötz­lich schwieg. Der künst­lich am Le­ben er­hal­te­ne Kör­per zuck­te zu­sam­men. Dr. Kuang-Tsin hat­te sein letz­tes Wort ge­spro­chen.
    Lang­sam rich­te­te ich mich auf. Als ich in die ge­bro­che­nen Au­gen sah, über­kam mich ein ei­gen­ar­ti­ges Ge­fühl. Die­ser Mann hat­te sein größ­tes Ge­heim­nis mit ins Grab ge­nom­men, nach­dem er nur ei­ni­ge un­kla­re Hin­wei­se hat­te ge­ben kön­nen.
    »Sta­bi­le Me­so­nen …«, mur­mel­te ich un­be­wußt. »Was mein­te er da­mit?«
    Dr. Fi­lus sah mich schwei­gend an und zog ein wei­ßes Tuch über den Kör­per des To­ten. Mit ei­nem lei­sen Fau­chen lief das Sni­der-Münch-Ge­rät aus.
    »Es tut mir leid, Cap­tain«, sag­te der Arzt in die ein­ge­tre­te­ne Stil­le. »Wir konn­ten nicht mehr tun. Er war nicht mehr zu ret­ten.«
    Nach­dem ich noch einen Blick auf den Ent­schla­fe­nen ge­wor­fen hat­te, er­griff ich das Ton­band­ge­rät, mit dem die letz­ten Wor­te fest­ge­hal­ten wor­den wa­ren.
    Was hat­te der Chi­ne­se mit der Be­zeich­nung »Tor zur Höl­le« ge­meint? Wer soll­te et­was wis­sen, und was hat­te er mit dem Be­griff »sta­bi­le Me­so­nen« an­deu­ten wol­len?
    Er­schöpft ver­ließ ich den OP-Saal und gab drau­ßen den wei­ßen Kit­tel ab. Als ich auf den Ver­bin­dungs­gang hin­austrat, wur­de ich be­reits von zwei mas­kier­ten Män­nern er­war­tet.
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