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Opferschuld

Opferschuld

Titel: Opferschuld
Autoren: Ann Cleeves
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mit einem Klicken, das Standlicht leuchtete auf, und James stieg die Treppenstufen zur Eingangstür hoch. Emma trat vom Fenster weg und setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett. Sie hielt den Kleinen sanft im Arm und legte ihn an die andere Brust.
    So saß sie noch da, als James hereinkam. Sie hatte eine kleine Lampe eingeschaltet, der Rest des großen Dachzimmers war in Schatten getaucht. Das Baby hatte aufgehört zu trinken, und die Augen waren ihm zugefallen, doch sie hielt es noch an der Brust, und ab und zu nuckelte es im Schlaf. Ein Tropfen Milch lief ihm über die Wange. Sie hatte gehört, wie James unten vorsichtig hin und her ging, dann hatten die Treppenstufen geknarzt. Ruhig und beherrscht saß sie nun da, ein Lächeln auf den Lippen. Mutter und Kind. Wie auf einem Gemälde der holländischen Meister in der Ausstellung, in die er sie geschleppt hatte. Er hatte dort einen Druck für das Haus gekauft, ihn in einen großen, vergoldeten Rahmen gehängt. Ihr Anblick verfehlte seine Wirkung nicht, auch er lächelte nun und sah plötzlich unsagbar glücklich aus. Sie fragte sich, wieso sie sich bloß von Dan Greenwood so angezogen fühlte, der immer ein bisschen schmuddelig wirkte und seine dünnen Zigaretten aus losem Tabak drehte.
    Behutsam hob sie den Kleinen in sein Bettchen. Erspitzte die Lippen, als würde er noch nach der Brustwarze suchen, seufzte tief vor Enttäuschung, wachte aber nicht auf. Emma machte die Lasche des wenig kleidsamen Still-BHs wieder zu und wickelte sich in ihren Bademantel. Die Heizung lief, aber in diesem Haus zog es immer. James beugte sich herab, um sie zu küssen, seine Zungenspitze tastete nach ihren Lippen, er war genauso beharrlich wie das Baby beim Stillen. Er hätte gern mit ihr geschlafen, aber sie wusste, dass er sie nicht drängen würde. Nichts war so wichtig für ihn, dass es eine Szene rechtfertigen würde, und in letzter Zeit war sie unberechenbar gewesen. Er wollte doch nicht, dass sie am Ende in Tränen ausbrach. Sanft schob sie ihn von sich weg. Er hatte sich unten ein kleines Glas Whisky eingeschenkt, das er noch in der Hand hielt. Er nahm einen Schluck, bevor er das Glas auf den Nachttisch stellte.
    «Alles in Ordnung bei dir?», fragte sie, um die Zurückweisung versöhnlicher zu machen. «Es war so windig heute Abend. Ich habe an dich gedacht, da draußen im Dunkeln mit den hohen Wellen.»
    Sie hatte an nichts dergleichen gedacht. Nicht heute Abend. Anfangs, kurz nachdem sie ihn kennengelernt hatte, da hatte sie von ihm draußen auf dem dunklen Meer geträumt. Doch jetzt war der Zauber irgendwie verflogen.
    «Wir hatten Ostwind», sagte er. «Richtung Küste. Hat uns geholfen reinzukommen.» Er lächelte sie liebevoll an, und sie war froh, dass sie das Richtige gesagt hatte.
    Langsam zog er sich aus, lockerte die verspannten Muskeln. Er war Lotse. An der Mündung des Humber ging er an Bord der Schiffe und brachte sie sicher in den Hafen von Hull, Goole oder Immingham, oder er lotste sie aus dem Fluss in die Nordsee. Er nahm seine Arbeit sehr ernst, war sich der Verantwortung bewusst, und er war einer derjüngsten auf dem Humber zugelassenen Lotsen. Sie war sehr stolz auf ihn.
    Das sagte sie sich nun, doch die Wörter zogen ihr ohne Bedeutung durch den Kopf. Sie versuchte, sich gegen die Panik zu wehren, die in ihr aufkam, seit sie die Männer draußen hatte reden hören. Die Panik schwoll an wie eine riesige Welle, die sich auf dem Meer aus dem Nichts heraus auftürmt.
    «Ich habe dich draußen mit Dan Greenwood reden hören. Was war denn so wichtig um diese nachtschlafende Zeit?»
    Er saß auf dem Bett. Sein Oberkörper war nackt, überzogen mit feinem blondem Haar. Niemand wäre darauf gekommen, dass er fünfzehn Jahre älter war als sie, so gut hielt er sich in Form.
    «Jeanie Long hat sich letzte Woche umgebracht. Jeanie Long, du weißt schon. Ihr Vater war Steuermann auf dem Lotsenboot an der Landspitze. Die Frau, die Abigail erwürgt haben soll.»
    Sie wollte ihn anbrüllen:
Natürlich weiß ich, wer das ist. Ich weiß mehr über diesen Fall, als du jemals wissen könntest
. Doch sie sah ihn nur an.
    «Eine schreckliche Geschichte, ein furchtbarer Zufall. Dan sagt, ein neuer Zeuge hätte sich gemeldet. Der Fall ist wiederaufgenommen worden. Jeanie wäre vielleicht freigesprochen worden.»
    «Woher weiß denn Dan Greenwood das alles?»
    Er antwortete nicht. Sie kam zu der Überzeugung, dass er schon wieder an etwas anderes dachte, an eine tückische
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