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Opfergrube: Kriminalroman (Darmstadt-Krimis) (German Edition)

Opfergrube: Kriminalroman (Darmstadt-Krimis) (German Edition)

Titel: Opfergrube: Kriminalroman (Darmstadt-Krimis) (German Edition)
Autoren: Michael Kibler
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wahnsinnig. Es war kalt. Heute weiß ich – zum Glück war es dort unten kalt. Sonst wäre ich verdurstet.«
    Margot war schlecht. Nein, sie war in ihrem Leben nie vergewaltigt worden. Und doch meinte sie, zumindest im Ansatz, nachfühlen zu können, was diese Frau damals durchgemacht hatte.
    »Dann kam der Mann. Vermummt. Er gab mir Wasser. Er war mein Held. Im Nachhinein habe ich rekonstruiert, dass das Dienstag gewesen sein musste. Aber auch er befreite mich nicht. Später erfuhr ich, dass Dienstag die Polizei in diesem Gebiet noch nach mir gesucht hat. Mittwoch machte er mich los. Mit einer Axt, die er mitgebracht hatte, trennte er die Kette durch.
    Er fasste mich an den Armen und sagte: ›Wenn du auch nur einem Menschen etwas über die Zeit in der Höhle sagst, dann bist du tot. Aber nicht nur du, sondern auch deine Geschwister, deine Eltern und dein Hund.‹
    Dann ließ er mich gehen. Und ich habe nichts gesagt. Nicht, weil ich Angst hatte. Sondern weil ich wusste, dass ich mir die vier Arschlöcher irgendwann kaufen würde.«
    Margot weinte. Sie konnte nicht anders. Vielleicht war ihre Vorstellungsgabe zu ausgeprägt. Vielleicht kam auch nur alles zusammen. Der Blick in Richtung Tod und Judiths Geschichte. Und das Bild, das sie im Anblick des Todes vor Augen gehabt hatte.
    »Sie heulen ja.«
    »Ja. Ihre Geschichte ist nicht lustig.«
    »Nein. Aber sie ist bald zu Ende.«
    Auch dieser Satz gefiel Margot nicht.
    »Ich bin krank, aber auch das wissen Sie wahrscheinlich.«
    »Ja. Geburt in München bei den palästinensischen Terroristen, dann Geburt in Hamburg, bei den RAF-Terroristen. Ja, ich glaube, ich weiß, was Sie meinen. Wo sind Sie denn wirklich geboren?«
    Judith lachte auf. »In Fränkisch-Crumbach. Im Mai 1972. Dort ist damals nichts weltpolitisch Wichtiges passiert.«
    »Und Sie sind sicher auch keine Nachfahrin von Anna Göldi, oder?«
    Judith Reichenberg lachte wieder. »Das ist tatsächlich nicht ganz geklärt und tatsächlich durchaus möglich.«
    Die ausgebaute B26 ging jetzt in die gewöhnliche Bundesstraße 26 in Richtung Aschaffenburg über.
    »Wissen Sie, was das Übelste war?«
    »Nein. Ich weiß nicht einmal, wovon Sie gerade reden.«
    »Ich wusste nicht, wer von den vieren der Schlimmste gewesen war. Till? Der geilte sich auf an der Macht, die er hatte. Diese Fratze habe ich nie vergessen. Oder Emil? Ihm gefiel es, mir wehzutun. Erstaunlich, was sich das Gehirn alles merkt, während man vor Schmerz explodiert. Oder Richard, der feige Hund? Den hatte der Alkohol in eine rammelnde Furie verwandelt. Oder Philipp, von dem ich so enttäuscht war? Er hat mich nicht mal angeschaut, während er … Und, verdammte Scheiße, ich bin nicht nur entjungfert worden an diesem Scheißtag! Ich bin schwanger geworden. Und ich hatte keine Ahnung, von wem. Von Philipp? Vielleicht hätte ich das Kind behalten. Von einem der anderen? Dann hätte ich das Kind gehasst und sicher getötet. Und mich wahrscheinlich auch. Das war mit ein Grund dafür, dass mein Vater mit mir in die Staaten ist. Meine Mutter hat nie etwas davon erfahren. Ich habe das Kind wegmachen lassen. Und auch wir waren dann weg, weg, weg. Ich habe einen an der Rassel, das weiß ich. Hatte ich auch schon vor diesem Tag damals. Aber – das habe ich doch nicht verdient, oder?«
    Nein, das hatte niemand verdient. Und dieser Tonfall, der gefiel Margot überhaupt nicht. Das klang nach Abschied. Das klang nach Großreinemachen. Das klang nach dem Betteln um Absolution.
    »Warum sind Sie nach Deutschland zurückgekommen?«
    »Ich weiß es nicht genau. Aber ich glaube, der Teil in mir, der die vier umbringen wollte, der hatte damals bereits die Regie übernommen.«
    Sie hatten Altheim hinter sich gelassen. Rechts und links lagen Felder. Es war Sommer. So eine schöne Jahreszeit.
    Margot sah Judith starr nach vorn blicken. Das war nicht der Blick einer Frau, die überlegte, wie sie in den kommenden drei Wochen ihre Flucht organisieren würde. Das war vielmehr der Blick einer Frau, die überlegte, in welcher der kommenden drei Minuten sie ihr Leben beenden würde. Siebzig zeigte der Tacho. Was die Geschwindigkeitsbegrenzung vorschrieb.
    Was würde sie machen? Würde sie anhalten und Margot und sich selbst erschießen? Margot hatte keine Lust, Objekt eines erweiterten Suizids zu werden.
    »Was haben Sie vor?«, fragte Margot.
    Es kam keine Antwort.
    Und Margot wusste, dass sie mit allem Reden nichts würde abwenden können. Aber da war dieser
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