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Opfer fliegen 1. Klasse

Opfer fliegen 1. Klasse

Titel: Opfer fliegen 1. Klasse
Autoren: Stefan Wolf
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ins Wort. „Morgen sind beide bei ihrem Überlebens-Club im Grandhotel ,Königssohn’.“
    „War das nicht schon am 3.
Mai?“
    „Das Treffen wurde verschoben,
weil zuviele nicht konnten. Ist ja auch egal. So eilig haben wir’s nicht.
Nadja“, er feixte, „ist ja noch jung. Auf einen Tag früher oder später kommt es
nicht an.“
    „Also übermorgen? Sonntag?“
    „Erst erkunden wir mal, ob dann
die beiden Alten zu Hause sind.“
    Kurt streckte sich lang auf den
Bauch und drehte das Gesicht in eine andere Richtung. In diesem Moment hätte er
seinen Freund — ist das Freundschaft, dachte er, wenn ich ihn in den Tod
schicke? — nicht ansehen können. Ja, entschied er. Trotz allem war Patrick sein
Freund. Aber Nadja war eben noch tausendmal wichtiger.

5. Die Befindlichkeit der
Überlebenden
     
    „Das muß man sich vorstellen“,
sagte Gaby: „148 Opfer waren zu beklagen — damals bei dem Flugzeugabsturz in
Südafrika, nahe Malakaputtschino. Und 22 haben überlebt — fast ohne Schramme.
Nadja hat erzählt, ihre Mutti und die andern seien auf dem letzten Stück der
Route nicht mehr in der Chartermaschine gewesen, weil die notlanden mußte wegen
eines Defekts. Sondern sie waren in einer Linienmaschine. Und die ist dann
abgeschmiert. Übrigens hat von den Passagieren der First Class keiner sein
Leben behalten. Die Überlebenden saß alle in der Economy Class.“
    „Technisch gesehen, läßt das keine
Rückschlüsse zu“, sagte Tim.
    Gaby saß im Schneidersitz und
war damit beschäftigt, ihre Goldmähne zu Afro-Zöpfchen zu flechten.
    Sogar das steht ihr, dachte
Tim. Sie wäre auch als Skin eine Augenweide. Aber das bitte trotzdem nicht,
wenn man mich fragt.
    Klößchen war mit seinem Radio
beschäftigt. Er hatte alle europäischen Sender durch und suchte Kalkutta,
obwohl er natürlich kein Wort Indisch spricht. Ihm ging’s nur ums Prinzip.
    „Ich fliege gern“, murmelte
Tim. Er hatte das Gesicht in die Arme gelegt. „Wenn ich erst mal an Bord bin,
denke ich nicht an die Crash-Möglichkeiten, nicht an ungenügende Wartung,
überlastete Piloten, hysterische Fluglotsen, mangelnde Ersatzteile, Wildenten,
vom Triebwerk angesaugt und gebraten, Blitzeinschlag, Materialmüdigkeit und was
sonst noch passieren kann. Wenn ich fliege, dann fliege ich. Alles andere wäre
inkonsequent.“
    „Ob Winter ob Sommer, seien wir
mal ehrlich“, zitierte Karl. „Leben ist immer lebensgefährlich.“
    „Von wem ist das?“ fragte Gaby.
    „Ich glaube, von Erich Kästner.“
    „Er hat recht“, lachte Tim.
„Und wir nehmen uns des Falls an. Ein Gesamtkomplex scheint das zu sein. Eins
gehört zum andern. Wenn wir uns also um diesen Armin Leipel kümmern, steht
gleichzeitig der Überlebens-Club auf unserem Programm. Wenn diese 22er-Runde
morgen abend zusammentritt, möchte ich gern dabei sein.“
    „Da spielen die aber nicht
mit“, wußte Gaby, „die bleiben eisern unter sich. Und die Medien außen vor.
Diesen Todesfurcht-Geschädigten geht es nicht um Publicity, sondern um
gemeinsame Aufarbeitung ihres Schockerlebnisses.“
    „Hm.“ Tim hatte seine Zweifel.
„Ein jährliches Treffen ist dafür aber recht mager. Und den Medien sollte man
nicht die coole Schulter zeigen — vor allem nicht einer Schülerzeitung wie
unserem Heimschul-Beobachter. Dort hätte doch das Thema ein Superforum. Wie ich
als Chefreporter mal bemerken darf.“
    „Welches Thema?“ fragte Karl.
„Die Katastrophe als solche?“
    „Nein. Eher ein Titel wie ,Die
Befindlichkeit der Überlebenden fünf Jahre danach 1 .“
    „Heute wird zuviel von
Befindlichkeit geredet“, sagte Gaby und war beim fünften Zöpfchen, „und von
Betroffenheit. Worthülsen von der Mattscheibe. Verlogene Kacke!“

    „Aber wenn wir darüber
schreiben“, erwiderte Tim, „würde echte Menschlichkeit aufschimmern. Ich kann
mir einfach nicht vorstellen, wie das ist: Man saust im Sturzflug hinunter, hat
nicht mal mehr Zeit zum Beten und zum Bereuen aller 10 000 Sünden, über die der
europäische Durchschnittsbürger in mittleren Jahren, der Normalo, statistisch
gesehen verfügt — tja, und dann hält der Schutzengel doch noch den Daumen
dazwischen, jedenfalls bei 22 Passagieren.“
    „Irre!“ sagte Klößchen. „Ich
kriege Kalkutta einfach nicht rein. Aber eben hatte ich was, das klang wie
Malakaputtschino. Gibt’s dort eigentlich eine Radiostation?“
    „O Gott! Willi, du nervst“,
hauchte Gaby.
    Tim, immer noch in Bauchlage,
sagte zwischen seine gekreuzten
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