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Operation Glueckskeks

Titel: Operation Glueckskeks
Autoren: York Pijahn
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Stulli: »Sieht super aus, wird sicher total gemütlich. Die Kinder werden es liiieben.«
    Die Hölle - das ist ein Neubaugebiet im Nordwesten Hamburgs, wo Stulli für seine Familie ein Haus baut. Wir stehen auf einer Betonplatte im Regen, aus den Pfützen ragen rostige Drähte, um uns herum Matschwüste, darüber grauer Himmel. Auf der Platte soll später einmal ein Balkon zu sehen sein, erzählt Stulli, dessen Stimme sich gegen den Wind stemmt. Oder das Dach des Kinderzimmers. Oder ein Teil der Garage. Oder von allem etwas, so genau habe ich es nicht verstanden. Neun Meter entfernt liegt der Lärmschutzwall, »zur Innenstadt sind es 50 Minuten«, sagt Stulli, und man merkt, wie oft er diesen Satz schon gesagt hat. 50 Minuten? Falls man einen raketengetriebenen Helikopter hat, denke ich. Lieber würde ich in ein nordkoreanisches Braunkohlebergwerk ziehen als hierhin. »Wie findest du es?«, fragt Stulli. »Ein Traum«, sage ich.

    Illu. 23

    Wer bis zu dieser Stelle des Textes noch keine Depression bekommen hat, geht wahrscheinlich den gleichen steinigen Pfad wie mein Freund Stulli: von der jahrelang gemieteten Innenstadtwohnung zum baldigen Hausbesitzer in City-Randlage. Stulli baut. So wie letztes Jahr fast 50 000 Familien in Deutschland. So wie gerade all meine Freunde, die nun gern über die Vorzüge doppelverglaster Balkontüren oder lasierter Deckenpaneele reden. Themen, die so interessant sind wie der Wetterbericht von Wladiwostok. Als Mensch, der »immer noch Miete zahlt« (ein Satz, für den ich Stulli am
liebsten sehr stark ins Gesicht boxen würde), schwanke ich zwischen zwei Gefühlen: Neid, den man nie zugeben würde, und unterdrückter Freude, dass man in vier Monaten nicht die Klinkerkiste an der Autobahn bewohnen muss.
    Doch das Thema verfolgt einen, denn befreundete Hausbesitzer zeigen ihre Baustellen so unerbittlich vor wie Exhibitionisten ihren nackten Po. Oder werdende Eltern ihre Ultraschallbilder; Schwarzweißfotos, die alle gleich aussehen und nie erkennen lassen, ob da ein Kind heranwächst oder eine Gurke oder E. T. Wichtig ist, dass man beim Anschauen ein Gesicht macht, als lutsche man den Karamellkern eines Bonbons frei. Bei mir hängen fünf Ultraschallfotos mit Magneten an der Kühlschranktür, es sieht aus wie bei »Grey’s Anatomy«. Die Kleinen sind inzwischen auf der Welt; die passenden Häuser kämpfen sich noch durch den Geburtskanal.
    Freunde zeigen ihre Baustellen wie Exhibitionisten ihren Hintern. Oder werdende Eltern ihre Ultraschallbilder.
    Nun stapfe ich also jeden Sonntag durch Neubaugebiete. Ich habe mir extra ein Paar dunkelblaue Gummistiefel dafür gekauft, in denen ich wie ein englischer Landadliger aussehe. Für Baustellenbesuche gilt übrigens das Gleiche wie für Ultraschallfotos: Nicht meckern, lieber kluge Fragen stellen. Nachdem meine Freunde genug Schulden haben, um bis
2089 keinen Sommerurlaub mehr machen zu können, nachdem sie bei der ersten Eigentümerversammlung entdeckten, dass die breithüftigen Nachbarn alle im selben Schützenverein sind und im Garten eine Frettchenzucht planen, nachdem all das die Beziehung des Baupaars bis aufs Fleisch gesandstrahlt hat, will man nicht hören, dass der Besucher leberwurstfarbene Ziegel doof findet. Oder meint, das Haus sehe genauso aus wie all die anderen, die gerade aus der Einöde hinterm Lärmschutzwall wachsen. Nein, all das will man nicht. Man will gelobt werden.
    Und so lobe ich mich von Baustelle zu Baustelle, von meinen Kumpeln in Hamburg zu den Abiturfreunden aus Bielefeld. Toller Giebel, schicker Carport, ja, das sind wirklich wunderbare Gehwegplatten, klare Linien, fast Bauhaus. Für den Satz »Ich finde es richtig, etwas mehr Geld für Kupferregenrinnen auszugeben, da hat man was für die Zukunft« ernte ich immer dankbares Lächeln und werde für nächsten Sonntag wieder eingeladen, »da kannste dir im Keller die neuen Heizungsrohre angucken«, sagt Stulli, während der Regen auf uns nieselt. Er legt mir eine Hand auf die Schulter. »Du wirst sehen, das wird himmlisch.«

Facebook-Freunde: Und deren dicke Kinder
    W ie heißen die Leute, die hinter der Avantgarde herlatschen? Jene, die nach den Trendsettern kommen? Fußvolk? Mitläufer? Wie auch immer - ich bin einer von ihnen. Eine der Schnarchnasen, die einen Trend immer als Letzte mitbekommen und sich dann besonders reinhängen - voller Konvertiten-Eifer.
    Als V-Ausschnitt-T-Shirts, zu enge Jeans, große Sonnenbrillen, Schals aus dünnem Stoff am Hals
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