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Operation Glueckskeks

Titel: Operation Glueckskeks
Autoren: York Pijahn
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kommt das schlechte Gewissen, ein Tourist zu sein, der in Kirchen auf Einheimischer macht. Ich komme mir nicht
vor wie der verlorene Sohn, eher wie eine amtliche Mogelpackung.
    Warum ich heute hier stehe? Weil meine Freundin Silke zum Yoga geht und meditiert, weil mein Freund Stulli sich einem Chor angeschlossen hat, beide macht das glücklich. Und ich? Würde auch gern öfter singen. Meditieren lernen. Ich habe im Internet ein paar Studien gefunden: Gläubige werden seltener depressiv, ihre Wunden heilen schneller, Herzerkrankungen sind seltener.
    Illu. 25

    Für einen Hypochonder wie mich sind das drei gute Argumente. »Ah, Herr Pijahn, kommen Sie jetzt öfter?« - »Ja,
ich würde gern entspannen und mein Herzinfarktrisiko senken.« Ich hoffe, dass so ein Wortwechsel zwischen mir und meiner neuen Pastorin nie stattfindet. Womit wir beim Thema wären:
    Falls die evangelische Kirche einen Look-a-like-Contest »Wer sieht aus wie Bischöfin Margot Käßmann?« veranstalten sollte, würde ich meine neue Pastorin ins Rennen schicken. Dunkler Bubikopf, breites Lachen und das, was mein Freund Stulli eine »Null-Bullshit-Aura« nennt. Sie wirkt wie jemand, der ein Überbrückungskabel im Kofferraum hat und weiß, dass ein iPod kein kambodschanischer Diktator ist. Genauso hört sich ihre Predigt an. Es geht um Nächstenliebe und - ich fasse kurz in meinen Worten zusammen - warum wir alle so egoistische Säcke sind. Kein »Kumbaya My Lord«, kein wandelnder Strickpulli, der Gitarre spielt, unter ihrem Talar schauen keine Wandersandalen hervor, sondern schwarze Ballerinas. Ihre Predigt ist mit Bibelzitaten dekoriert und wirkt überzeugend. Der »Das-macht-jetzt-keinen-Sinnaber-Sie-müssen-es-einfach-glauben-Anteil« ist kurz vor null, was ich gut finde.
    Ich komme mir vor wie ein Tourist, der in Kirchen auf Einheimischer macht.
    Da sie auf einer Kanzel steht, muss ich zu ihr hochgucken und fühle mich angenehm geschrumpft, als würde einem ein
netter Erwachsener erklären, wo der Bus abfährt. Wer hat mir eigentlich das letzte Mal gesagt, dass ich mich mehr um andere kümmern soll? Ist lange her, oder ich habe schnell den Sender gewechselt.
    »Und jetzt singen wir ›Allein Gott in der Höh sei Ehr‹«, sagt sie im Tonfall eines gut gelaunten Personal Trainer. Den Song kannte ich mal, wobei ich mir für das Wort »Song« gleich ein paar Minuspunkte verpasse. Dann sollen wir still beten. Meine Gedanken sprudeln zum Schädeldach wie Kohlensäure in einem Mineralwasserglas: Morgen nach Berlin, mein Sakko kneift, die neue Bürokollegin nervt. Dann etwas weniger: Berlin, Sakko, Büro. Dann ist allmählich Ruhe im Kopf.
    »Friede sei mit dir«, sagt die Pastorin in die Stille, und plötzlich drücken mir die Oberarmlady und der Rentner die Hand. Es fühlt sich seltsam, aber nicht falsch an. Wir treten hinaus ins Sonnenlicht, der Rentner bietet mir einen seiner Kaugummis an, was ich auf eine klebrige Art rührend finde. »Und sonst, bei Ihnen alles gut?«, fragt er und schaut mich aus blauen Knopfaugen an. Mein Kopf ist aufgeräumt, ich habe einen leichten Zahnarztgeschmack im Mund. »Ja«, sage ich, kaue auf dem Gummi herum und gucke in die Sonne. »Ja, danke, alles gut.«

Das Jahreshoroskop: Star Wars im November
    S ie kennen mich. Ich bin der Typ, der vor dem Buchladen-Grabbeltisch steht. Nein, nicht steht, sondern kauert, auf allen vieren. Derjenige, der seinen Kopf in die unterste Etage klemmt: zu den Knut-der-Eisbär-Kalendern-2007, zu den Bodybuilding-Ratgebern für Schwangere und den Bombennächten-Bildbänden. Und dann zu den Stars des Grabbeltischs: den Horoskopbüchern. Die sind für Sternzeichen-Gläubige wie mich ein sanftes Peeling für die Seele. Nirgendwo sonst bekomme ich so en bloc erklärt, was für ein feiner Mensch ich bin. Ein gutes, also ein besonders wohlmeinendes Horoskopbuch kann mit dem Effekt von fünf Stunden Gesprächstherapie mithalten. Aber vielleicht gilt das auch nur für mich, einen Zwilling mit Aszendent Waage. Laut Horoskopen habe ich neben amoklaufender Eitelkeit die Charaktereigenschaften von Rudi Carrell, gepaart mit denen des Fürsten von Metternich, sprich: eine Labertasche mit diplomatischem Geschick und dem dusseligen Herz eines Golden Retrievers.
    Solche Ratgeber machen das Leben besser und im November sicherer. Denn der November ist die Zeit des Jahreshoroskops. Die Würfel werden gerollt und bleiben 365 Tage lang liegen, rien ne va plus, ein Jahr lang Sternstunden oder Star
Wars. Nur
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