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Onkel Wolfram - Erinnerungen

Onkel Wolfram - Erinnerungen

Titel: Onkel Wolfram - Erinnerungen
Autoren: Oliver Sacks
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ein Karten- oder Schachspiel vertieften, vergnügte ich mich bei einem einfachen Mensch ärgere dich nicht mit Tante Birdie. Sie war die ältere Schwester meiner Mutter und lebte bei uns mit im Haus - in meinen ersten Lebensjahren war eher sie mein Spielkamerad als meine Brüder. Mit außerordentlicher Leidenschaft wurde Monopoly gespielt. Noch bevor ich die Regeln richtig kannte, hatten sich die Preise und Farben der Straßen meiner Vorstellung fest eingeprägt. (Noch heute sehe ich Old Kent Road und Whitechapel als billige, mauvefarbene Liegenschaften, kaum besser verhält es sich mit der hellblauen Angel und Euston Road in ihrer Nachbarschaft. Dagegen prangt das Westend für mich in kräftigen, kostspieligen Farben: Fleet Street scharlachrot, Piccadilly gelb, Bond Street in Grün, Park Lane und Mayfair schließlich in einem dunklen, Bentleyfarbenen Blau.) Manchmal spielten wir auch alle zusammen Tischtennis oder wir bastelten irgendetwas, in beiden Fällen leistete uns der große Tisch in der Bibliothek große Dienste. Doch nach einem Wochenende leichtfertigen Zeitvertreibs wurden die Spiele wieder in der riesigen Schublade unter einem der Bücherschränke verstaut, woraufhin in der Bibliothek wieder die Ruhe einkehrte, die mein Vater für seine abendliche Lektüre brauchte.
    Auf der anderen Seite des besagten Bücherschrankes gab es noch eine weitere Schublade, eine Attrappe, die sich nicht öffnen ließ und in einem meiner häufig wiederkehrenden Träume eine wichtige Rolle spielte. Wie alle Kinder liebte ich Münzen ihren Schimmer, ihr Gewicht, ihre unterschiedlichen Formen und Größen - von den hellen Kupfer-Farthings, Halfpennys und Pennys über die verschiedenen Silbermünzen (besonders die winzigen Threepennys - einer war zu Weihnachten immer im Fruchtpudding versteckt) bis zu dem schweren goldenen Sovereign, der alten 20-Shilling-Münze, die mein Vater an seiner Uhrkette trug. Ich las in meiner Kinderenzyklopädie von Dublonen und Rubeln, von Münzen mit Löchern und «pieces of eight» (Achterstücken), die ich mir als vollkommene Achtecke vorstellte. In meinem Traum konnte ich die Schubladenattrappe öffnen und erblickte einen glitzernden Schatz von Kupfer-, Silber- und Goldmünzen aus zahllosen Ländern und Zeiten, darunter zu meinem Entzücken auch achteckige «pieces of eight».
    Besonderes Vergnügen bereitete es mir, in den dreieckigen Schrank unter der Treppe zu kriechen, in dem das spezielle Geschirr und Besteck für das Passahfest aufbewahrt wurde. Der Schrank war nicht ganz so tief wie die Treppe, und mir schien, seine Rückseite klang hohl, wenn man dagegenklopfte. Irgendetwas verbarg sich dahinter, dessen war ich mir sicher, ein Geheimfach oder vielleicht ein Geheimgang. Hier in meinem Privatversteck fühlte ich mich geborgen - niemand außer mir war klein genug, um hineinzugelangen.
    Doch zum Schönsten und Geheimnisvollsten wurde in meinen Augen die Eingangstür - sie bestand aus Glasfenstern der verschiedensten Farben und Formen. Ich blickte durch eine tiefrote Scheibe und sah eine Welt in Karmesin (in der die roten Dächer der gegenüberliegenden Häuser jedoch merkwürdig blass wirkten und sich die Wolken verblüffend krass von einem blauen Himmel abhoben, der jetzt fast schwarz erschien); ganz anders die Erfahrungen mit dem grünen Glas oder dem dunkelvioletten. Am meisten faszinierte mich das gelbgrüne Glas, weil es changierte, manchmal mehr ins Gelbliche, manchmal mehr ins Grünliche, je nachdem, wo ich stand und wie die Sonne einfiel.
    Als Tabuzone galt der Dachboden. Er war riesig, weil er sich über die ganze Fläche des Hauses erstreckte und bis in die gläsernen Höhen des Daches hinaufreichte. Einmal wurde er mir gezeigt, woraufhin ich wiederholt davon träumte, vielleicht weil man ihn für verboten erklärt hatte, nachdem Marcus allein hinaufgeklettert und durchs Dachfenster gefallen war. Es hatte ihm eine böse Schnittwunde im Oberschenkel eingetragen (obwohl er mir einmal in Fabulierlaune weisgemacht hatte, die Narbe verdanke er - wie Odysseus die seine an der gleichen Stelle einem wilden Eber).
    Die Mahlzeiten wurden im Frühstücksraum neben der Küche eingenommen. Das Esszimmer mit dem langen Tisch blieb den Schabbesmahlen, Festlichkeiten und besonderen Anlässen vorbehalten. Eine ähnliche Unterscheidung wurde zwischen Wohnzimmer und Salon gemacht - das Wohnzimmer mit seinem Sofa und den ausgesessenen, gemütlichen Sesseln war für den alltäglichen Gebrauch, der Salon
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