Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
Autoren: John Dickie
Vom Netzwerk:
uns lehrt, ist beispielsweise die Tatsache, dass der unselige Ruf der sizilianischen Mafiosi voll und ganz verdient ist.
    Sizilien hat der Welt den Begriff »Mafia« gegeben, und die Tatsache, dass dieses Wort mittlerweile Teil der Alltagssprache geworden ist, und das nicht nur in Italien, sondern auf der ganzen Welt, ist symptomatisch für den beherrschenden Einfluss des organisierten Verbrechens in Sizilien. Im Dialekt Palermos, der Hauptstadt Siziliens, stand der Begriff »Mafia« für Schönheit und Selbstbewusstsein: Das umgangssprachliche »cool« kommt der ursprünglichen Bedeutung wohl am nächsten. In den 1860 er Jahren, kurz nachdem die geplagte Insel Sizilien Teil eines neu geeinten Italiens geworden war, wurde der Begriff »Mafia« allmählich zum Markenzeichen einer Organisation, die für kurze Zeit aus einem Nebel der Gewalt und Korruption auftauchte. Die Mafia (die schon bald wieder im Nebel verschwinden sollte) hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine Weile existiert und inzwischen ein Niveau an Macht und Reichtum erlangt, von dem ein Krimineller auf dem Festland nur träumen konnte. Diese Macht und dieser Reichtum erklären auch, warum das sizilianische Wort »Mafia« zum Oberbegriff für sämtliche kriminellen Vereinigungen Italiens wurde, einschließlich der Camorra und der ’Ndrangheta. Im Laufe von etwa 100  Jahren – jener Zeitspanne, die das vorliegende Buch umfassen wird – gelang auch den beiden anderen mafiosen Verbindungen der Halbinsel derselbe Höhenflug, den die Sizilianer bereits in den frühen Jahren vollzogen.
    Heutzutage bezeichnet sich die sizilianische Mafia üblicherweise als Cosa Nostra (»Unsere Sache«). Den Beinamen übernahmen Mafiosi in den 1960 er Jahren sowohl in den Vereinigten Staaten als auch auf Sizilien. Der Name ’Ndrangheta blieb um die Mitte der 1950 er Jahre an der kalabrischen Mafia haften. (Er bedeutet »Männlichkeit«, »Wagemut«.) Beide Namen wurden zum Inbegriff ihrer Träger, weil nach dem Krieg Öffentlichkeit und Justiz immer mehr Fragen stellten, um ein Bild zu revidieren, das 100  Jahre Chaos, Nachlässigkeit und Verdunkelung gänzlich verzerrt hatten.
    Und so gibt die erste Hälfte des vorliegenden Buches, die mit dem Niedergang des Faschismus und mit der Befreiung Italiens durch die Alliierten endet, die Geschichte von Verbrechervereinigungen wieder, die damals zwar nicht namenlos, wohl aber unergründet und geheimnisvoll waren, von Schweigen umhüllt (im Falle der ’Ndrangheta) oder von endlosen, ergebnislosen Kontroversen (im Fall der sizilianischen Mafia).
    Die Camorra hatte ein anderes Verhältnis zu ihrem Namen. Während die Macht des organisierten Verbrechens in der Geschichte Neapels kontinuierlich zu- und wieder abnahm, hieß die Camorra doch stets Camorra. Die Ehrenwerte Gesellschaft Neapels war zwar eine geheime, verschworene Gemeinschaft von Gangstern, doch hatte sie seltsamerweise kaum Geheimnisse.
Jedermann
in Neapel wusste über sie Bescheid: einer der Gründe, warum ihre Geschichte so dramatisch anders verlaufen sollte als jene der ehrenwerten Gesellschaften Siziliens und Kalabriens.
    Mit seinem vergleichenden Ansatz bietet das vorliegende Buch Antworten auf einige drängende Fragen. Wie sind die geheimen Verbrecherorganisationen Italiens entstanden? Wie kamen sie ans Licht? Warum haben sie ihre Enthüllung nicht nur überlebt, sondern wurden sogar noch mächtiger? Die schlechtesten Antworten auf diese Fragen lassen haltlose Legenden aufleben, die den arabischen Eroberern Siziliens und den spanischen Herrschern in Neapel die Schuld geben. Solche Geschichten ähneln – in geradezu verdächtiger Weise – dem Seemannsgarn, das die Ehrenwerten Gesellschaften gern über sich spinnen. Kaum besser sind Antworten, die Klischees wie »die Kultur«, »die Mentalität« oder »die süditalienische Familie« bemühen.
    Viele universitäre Schriften geben intellektueller klingende Antworten, sprechen vom fragilen Fundament des Staates, vom mangelnden Vertrauen der Bürger in Regierungseinrichtungen, oder beklagen ein Vorherrschen von Klientelismus und Ämterpatronage in Politik und Verwaltung und so weiter. Als Professor für italienische Geschichte habe auch ich in der Vergangenheit dergleichen Thesen aufgestellt. Ich weiß also nur zu gut, wie selten sie zur Aufklärung beitragen. Dennoch verbirgt sich in all diesen Phrasen ein wesentliches Körnchen Wahrheit: Die Geschichte des organisierten Verbrechens in Italien handelt ebenso von der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher