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Oma ihr klein Häuschen

Oma ihr klein Häuschen

Titel: Oma ihr klein Häuschen
Autoren: Janne Mommsen
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sieht in der Morgensonne und mit den sandigen Dünen der Insel Amrum im Hintergrund aus wie ein großformatiges, stilles Gemälde. Eine Seemöwe mit gelbem Schnabel kreist über mir und verbündet sich nun mit einer anderen zu einem Flug zur Nachbarinsel, als wenn sie dort eine Verabredunghätten. In meinem Rucksack liegt mein Geschenk für Oma, den Rucksack schenke ich ihr gleich mit, es ist das neuste Modell von Eastpack, sie liebt diese Marke.
    Ich freue mich richtig auf meine Oma!
    Schließlich hat nicht jeder eine Großmutter, mit der man auf die Berlinale gehen und zehn Filme in drei Tagen gucken kann. Als wir zusammen dort waren, war Oma Imke allerdings noch ein paar Jahre jünger, etwa siebzig. Nicht dass sie Eintrittskarten gehabt hätte, nein, ihr Ehrgeiz bestand darin, umsonst in die Kinos zu kommen – was wir fast immer schafften. Wenn die Besuchermassen herausströmten, mogelten wir uns gegen den Strom hinein. Einmal versteckten wir uns eine Stunde unter der Bühne, bis kurz vor Filmbeginn, und huschten dann auf zwei leere Plätze. Manchmal entdeckte ich auch einen vergessenen Lieferanteneingang, oder Oma täuschte in der Schlange einen Schwächeanfall vor, sodass ich sie drinnen im Foyer ablegen musste. Ich gab mich wechselweise als ihr Agent oder ihr Lover aus. Oma hatte keine Hemmungen, sie herzte chinesische Regisseure, nippte mit französischen Produzenten am Champagner und lernte eine Menge Promis kennen – sogar Brad Pitt.
    Der kam nämlich, umgeben von mindestens dreißig Leuten, am vorletzten Tag in eine Filmvorstellung und war mit seiner dunklen Sonnenbrille kaum zu erkennen. «Guck mal, Brad Pitt», raunte ich Oma zu. Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass sie ihn gar nicht kannte oder dass sie ihre Brille nicht aufhatte, jedenfalls stürmte sie sofort auf einen der Bodyguards zu, gab ihm einen Kuss auf die Wange und rief mit lustig blinzelnden Augen: «Hello, Brad Pitt! I wonna have a baby of you!» Dann zückte sie ihre Digitalkamera.
    Der Mann bekam einen Lachanfall, der Vorfall wurde binnen weniger Sekunden mündlich in der Gruppe weitergereicht,bis alle in das Gelächter einstimmten. Schließlich kam Brad Pitt höchstpersönlich auf Oma zu. «I’d like to be on the picture with Mr.   Pitt», bat er ganz ernst. Oma fand das zwar etwas frech, erlaubte es ihm aber. Das Foto hängt bei mir zu Hause im Badezimmer: Oma Imke meets Hollywood. Ich bin blöderweise nicht mit drauf, weil ich fotografiert habe.
    Als ich sie später über ihre Verwechslung aufklärte, war Oma das so unangenehm, dass sie hinter ihrer braungegerbten Haut sogar rot anlief. Das wunderte mich, weil ihr sonst nie etwas peinlich ist, als Letztes ihre Kleidung, mit der sie ihren irrsinnigen Jugendwahn auslebt. Omas Haut ist immer lederbraun, denn was die U V-Strahlen draußen nicht schaffen, ergänzt sie im Sonnenstudio. Sie trägt einen sportlichen, frechen Kurzhaarschnitt mit blonder Färbung, und weil sie gertenschlank ist, kann sie sich garderobemäßig einiges erlauben – aber muss es ein kurzes T-Shirt sein, bauchfrei bis kurz unter den Nabel? Und leuchtend rote Basketballschuhe zu knallengen Jeans? Mit über siebzig? Da muss man durch bei Oma Imke, ich habe mich daran gewöhnt, es zu ignorieren.
     
    Es wird bestimmt ein Riesengequietsche geben, wenn ich um die Ecke biege. Sie ahnt nicht, dass ich komme, genauso wenig wie mein Onkel Arne und meine Tante Regina, die ich das letzte Mal auf Opas Beerdigung gesehen habe.
    Ist das jetzt wirklich schon fünf Jahre her?
    Am meisten freue ich mich natürlich auf das Wiedersehen mit Maria. Gestern hatten wir doch entschieden zu wenig Zeit zu reden. Genug Zeit allerdings, um meine Neugier zu wecken. Wenn man seine Verwandten so lange nicht gesehen hat, ist das fast wie ein Blind Date.
    Nach einer Dreiviertelstunde macht die Küste in Wyk einen scharfen Knick, da wo der Leuchtturm Olhörn steht. Hier soll die Feier stattfinden. Tatsächlich entdecke ich zwischen den leeren Strandkörben am Wasser einen knallrosa Zeltling, der aussieht wie ein notgelandetes Ufo. Allerdings nur, wenn man den schweren, hölzernen Bauerntisch und die steifen Stühle mit der hohen Lehne darunter ausblendet. Alles sehr mächtig für den weichen Sand.
    Es ist halb neun, und von meiner Mischpoke ist noch niemand zu sehen. Dafür steht das deftige Buffet auf großen silbernen Platten schon bereit: Wie viele Leute erwarten die denn? Es gibt, wie an der Küste üblich, Fisch in allen Variationen,
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