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Oksa Pollock. Der Treubrüchige

Oksa Pollock. Der Treubrüchige

Titel: Oksa Pollock. Der Treubrüchige
Autoren: A Plichota
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die zweite Huldvolle in der Geschichte Edefias, die diese Fähigkeit besitzt …«
    »Und du bist die erste?«
    »Leider nein. Vergiss nicht, dass ich nie als Huldvolle in mein Amt eingesetzt wurde. Die Huldvolle, mit der du diese außergewöhnliche Gabe teilst, war die erste Huldvolle von Edefia.«
    Oksas Herz klopfte auf einmal heftig. Sie musste ihre Tasse abstellen, so sehr zitterten ihre Hände.
    »Heißt das, dass ich die letzte Huldvolle von Edefia sein werde? Dass ich es nicht schaffen werde, das Gleichgewicht der beiden Welten wiederherzustellen? Dass alles zu Ende gehen wird?«
    Dragomira schaute sie erstaunt an.
    »Aber nein, meine Duschka, natürlich nicht! Wenn es eine Parallele gibt, dann ist es vielmehr die, dass du Edefia wieder zu neuem Leben erwecken wirst. Davon bin ich fest überzeugt!«
    Oksa dachte einen Moment nach und fragte dann:
    »Und wie funktioniert es, dieses Andere Ich?«
    »Du wirst bald lernen, es zu beherrschen«, gab Dragomira ausweichend zur Antwort. »Und ich wette, dass es uns eine große Hilfe sein wird, wenn wir unserem Widersacher gegenübertreten, was sicherlich schon bald geschehen wird.«
    »Orthon?«
    »Remineszens’ Enthüllungen beunruhigen mich sehr«, gab Dragomira zu. »Wenn Orthons einziges Ziel tatsächlich nur darin besteht, sich an seinem Vater Ocious zu rächen, dann wird ihn nichts aufhalten. Je mehr ich darüber nachdenke, umso klarer wird mir, dass alles eine logische Konsequenz dessen ist, was ich vor nunmehr fast sechzig Jahren selbst mitansehen konnte. Damals ist mir so viel entgangen …«
    »Aber du warst doch noch so jung, Baba!«, warf Oksa, betroffen von dem unglücklichen Ton ihrer Großmutter, ein. »Du konntest doch gar nicht wissen, was vor sich ging, und schon gar nicht, was das Verhalten von Ocious einmal aus Orthon machen würde.«
    »Eine Sache ist mir aber nicht entgangen: Ocious war ein kalter und boshafter Mensch. Der schlimmste Vater, den man sich vorstellen kann.«
    Die alte Dame hob den Kopf und schaute konzentriert auf die leere Wand ihr gegenüber. Sie wartete, bis ihr Filmauge sich eingerichtet hatte, und dann strömten die Bilder aus der Tiefe ihrer Erinnerung hervor.
    Zuerst erschien das Gesicht Orthons als junger Mann. Die Szene spielte, gesehen durch Dragomiras Augen, auf dem Balkon eines riesigen Turms – der Gläsernen Säule, vermutete Oksa. Üppige Kletterpflanzen rankten sich um die Brüstung und bildeten ein Sonnendach aus grünem Laub. Ein feiner Wasserstrahl spritzte in hohem Bogen aus einem kristallklaren Springbrunnen und schien der jungen Dragomira großes Vergnügen zu bereiten: Sie beschrieb mit dem Zeigefinger phantasievolle Schnörkel in der Luft, denen der Wasserstrahl folgte, und lenkte ihn frech auf Orthon und Leomido, die zwölf oder dreizehn Jahre alt sein mochten. Dragomiras kindliches Lachen war zu hören, als der wirbelnde Wasserstrahl auf Orthon niederging. Der Junge riss verdutzt die Augen auf. Er versetzte Leomido, der ebenfalls lachte, einen Stoß mit dem Ellbogen, die beiden tauschten rasch einen Blick und stürzten sich dann mit Gebrüll auf Dragomira, um sie schonungslos durchzukitzeln. Das Filmauge wackelte, während das Gelächter der Kinder im Halbdunkel des Raums, in dem Oksa saß, widerhallte. Plötzlich blieb der Blick des Filmauges an Orthon hängen: Sein noch jungenhaftes Gesicht verzerrte sich schlagartig, als die eisige Stimme seines Vaters ertönte. Das Filmauge schwenkte in eine andere Richtung, und Ocious war zu sehen. Seine korpulente, aber dennoch elegante Gestalt flößte Respekt und zugleich Furcht ein. Seine dunklen Augen verengten sich zu Schlitzen, als er sah, wie sein Sohn vor Dragomira kniete, die sich zu einer Kugel zusammengerollt hatte, um der Attacke der beiden Jungen zu entgehen. Orthon wurde bleich und stand sofort auf. Er stammelte irgendetwas Unverständliches, was zur Folge hatte, dass sich die Miene seines Vaters noch mehr verfinsterte.
    »Warum rechtfertigst du dich?«, stellte ihn Ocious mit eisiger Stimme zur Rede. »Deine Entschuldigungen machen deine Schwäche nur umso deutlicher. Steh gefälligst zu deinen Taten, auch den unwichtigen. Schließlich hast du doch nichts Böses getan, oder?«
    Und da Orthon betreten schwieg, fuhr er fort: »Entschuldigt sich Leomido vielleicht für irgendetwas? Nein. Er steht dazu. Du solltest dir an deinem … Kameraden ein Beispiel nehmen«, schloss er, bevor er sich auf dem Absatz umwandte und davonging.
    Jetzt, wo das
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