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Oksa Pollock. Der Treubrüchige

Oksa Pollock. Der Treubrüchige

Titel: Oksa Pollock. Der Treubrüchige
Autoren: A Plichota
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nämlich normal !«
    Ein missbilligendes Gemurmel erhob sich unter den Knuts. Oksa hatte das ungute Gefühl, überhaupt nichts zu kapieren. Inwiefern war dieses Mädchen normaler als alle anderen?
    »Du hast überhaupt nichts verstanden«, murmelte Tugdual mit belegter Stimme.
    »Ich wünschte, du hättest nie zu meiner Familie gehört!«, schrie Kukka. »Du hast mein Leben ruiniert.«
    »Sei jetzt still!«, befahl ihr Vater verärgert.
    Doch davon ließ sich Kukka nicht beeindrucken. Sie war vollkommen außer sich. Sie ging noch einen Schritt auf Tugdual zu und drückte ihm den Zeigefinger mitten auf die Brust.
    »Weißt du, wo dein Vater jetzt gerade ist?«, fuhr sie ungerührt fort.
    Tugdual wankte, als ob ihm plötzlich schwindlig geworden wäre.
    »Was denn«, fragte Kukka höhnisch, »du weißt nicht einmal, dass sich dein Vater auf einer Bohrinsel irgendwo draußen in der Nordsee befindet? Er ist weggegangen, mein lieber Cousin. Weit weg von all den Geheimnissen, weg von diesem ganzen Irrsinn und vor allem SO WEIT WIE MÖGLICH WEG VON DIR!«
    Tugdual schien innerlich zusammenzubrechen. Ein paar Sekunden lang standen beide so da – sie leuchtend wie eine Schneeflocke, er düster wie ein Gewitterhimmel. Plötzlich packte Tugdual seine Cousine an ihren langen goldblonden Haaren und zog ihren Kopf zu sich her, sodass ihr Gesicht wenige Zentimeter vor seinem war.
    »Wag es nie wieder, mir irgendetwas über meinen Vater zu erzählen«, sagte er, wobei jede Silbe ihn große Anstrengung kostete.
    »Monster!«, schleuderte ihm Kukka trotzig entgegen.
    Oksa konnte das dumpfe, drohende Grollen in Tugduals Brust hören, an dem er fast zu ersticken drohte. Naftali sprang auf, um seinen Enkel daran zu hindern, seine Cousine mit Gewalt zum Schweigen zu bringen. Aber einige Augenblicke später passierte es doch … Aus Tugduals Augen schoss ein Zornesblitz, der Kukka wie ein Stromschlag traf. Sie sank schlaff in Naftalis Arme, während ihre Eltern erschrocken zu ihr eilten. Tugdual, der noch eine Spur blasser geworden war, musste an der Zimmerwand Halt suchen. Langsam ließ er sich daran zu Boden gleiten. Oksa konnte seinen verzerrten Gesichtszügen ansehen, wie sehr ihn seine Cousine verletzt hatte. Kukka hatte offenbar seinen wundesten Punkt getroffen …
    »Dein Freund weiß wirklich, wie man Unruhe stiftet«, erklang plötzlich Gus’ Stimme direkt hinter Oksa.
    Oksa erschrak. Gus saß ein paar Stufen über ihr und beobachtete sie missmutig. Sie wollte ihm gerade etwas entgegnen, als eine Frau mit einem kleinen Jungen auf dem Arm die Halle durchquerte und den großen Salon betrat. Schlagartig verstummten alle und sahen sie an, während sie selbst versuchte, sich ein Bild davon zu machen, was vorgefallen war. Die Frau entdeckte Tugdual, der offenbar immer noch mit seiner Wut kämpfte. Der kleine Junge, den sie trug, reckte die Arme in Tugduals Richtung und rief: »Tug!«
    Tugdual hob verblüfft den Kopf. Ein erstickter Laut drang aus seiner Kehle. Die Frau setzte den kleinen Jungen auf dem Boden ab und ging mit Tränen in den Augen zu Tugdual, um ihm aufzuhelfen und ihn in die Arme zu schließen.
    »Guten Tag, Helena«, begrüßte Naftali die Frau und ging zu ihr.
    Oksa war wie elektrisiert. Helena! Tugduals Mutter! Wie Olof und seine Eltern strahlte auch sie eine faszinierende Mischung aus Feingliedrigkeit und Kraft aus, die einem automatisch Respekt einflößte. Sie war groß und hatte lange, schlanke Gliedmaßen. Ihr Gesicht, das von braunem, mit vereinzelten silbrigen Strähnen durchzogenem Haar umrahmt war, war erschreckend bleich, und in ihrem Blick lag eine abgrundtiefe Verzweiflung. Sie löste sich von Tugdual, um ihre Eltern zu begrüßen. Inzwischen schien Tugdual wieder zu seiner gewohnt lässigen Haltung zurückgefunden zu haben. Nur das düstere Glimmen in seinen Augen verriet noch den brennenden Zorn, den er verspüren musste.
    »Da bist du ja, meine Liebe«, sagte Naftali gerührt zu seiner Tochter. »Und du, mein kleiner Till – was bist du gewachsen!«, fügte er an seinen Enkel gewandt hinzu und bückte sich dabei zu dem kleinen Jungen hinunter, der sich an Tugduals Bein geklammert hatte.
    »Ich bin jetzt fünf«, verkündete der Kleine stolz.
    Oksa beobachtete Tugdual staunend. Ihr fiel plötzlich auf, dass er noch nie von seiner Familie erzählt hatte. Allerdings hatte sie ihn auch nie danach gefragt, musste sie sich betreten eingestehen. Und nun hatte sie innerhalb weniger Minuten so viel
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