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Oksa Pollock. Der Treubrüchige

Oksa Pollock. Der Treubrüchige

Titel: Oksa Pollock. Der Treubrüchige
Autoren: A Plichota
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vorstellte. Olof Knut war das vollkommene Abbild seines Vaters: hager, riesengroß, charismatisch und in asketisches Schwarz gehüllt. Wie er so hinter seiner Frau stand – auch sie eine Tochter von Rette-sich-wer-kann, groß gewachsen und mit weizenblondem Haar –, erweckte er den Eindruck, als könne er tausend Gefahren trotzen. Doch mehr noch als dieses eindrucksvolle Paar war es ihre Tochter, die Oksas Gefühle kräftig durcheinanderbrachte. Tugduals Cousine, Kukka, ein Mädchen von etwa fünfzehn Jahren, konnte man schlicht und einfach als nordische Schönheit bezeichnen. Sie war ganz in Cremeweiß gekleidet – helle Jeans und einen dicken Wollpullover mit Zopfmuster –, und dank ihres sehr blassen Teints, den der schokoladenbraune Lippenstift noch betonte, leuchtete ihre ganze Erscheinung wie Schnee. Die Eiskönigin, dachte Oksa sofort, während eine unerklärliche, nagende Unruhe in ihrem Herzen aufkeimte. Kukka betrachtete sie mit einem eisigen, aber auch neugierigen Blick. Oksa überlief eine Gänsehaut, so sehr verstörte sie der Anblick dieses außergewöhnlich schönen Mädchens. Sie hörte kaum zu, als Dragomira ihr die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Knuts und den Pollocks erläuterte. Kukkas Blick wanderte von Oksa zu Tugdual, der eben zu ihnen getreten war. Sofort erschien ein arktisches Lächeln auf ihrem Gesicht.
    »Sieh einer an, mein herzallerliebster Cousin«, sagte sie spitz.
    Ihre klare, messerscharfe Stimme klang wie splitterndes Glas. Blitzschnell ergriff sie die Vase auf dem Tisch hinter ihr und warf sie auf Tugdual, der sich gerade noch zur Seite ducken konnte, um das Geschoss nicht an den Kopf zu bekommen. Das Porzellan ging klirrend an der Wand zu Bruch. Oksa stieß einen Schrei aus, und Kukkas Eltern sprangen empört auf.
    »Spektakulärer Auftritt … Hallo, meine liebe kleine Cousine!«, bemerkte Tugdual mit spöttischem Blick. Die Hände in den Hosentaschen vergraben, kam er näher. Die Scherben knirschten unter seinen Schuhen.
    »Ich bin jedenfalls größer als du, merk dir das!«, erwiderte das Mädchen.
    Sie ging ein paar Schritte auf ihn zu, damit jeder sehen konnte, dass sie tatsächlich ein paar Zentimeter größer war als er. Was jedoch Tugdual nicht im Geringsten aus der Fassung brachte, im Gegenteil.
    »Das ›klein‹, liebe Cousine, bezog sich nicht auf die Körpergröße, sondern auf die geistige Reife«, konterte er, sichtlich mit sich zufrieden.
    »Dass ich nicht lache«, gab die Eiskönigin zurück und warf ihre blonden Haare nach hinten. »Ist es vielleicht ein Beweis von geistiger Reife, seine ganze Familie zu zerstören? Vielen Dank dafür im Namen aller Knuts …«
    Diesmal schien ihre Attacke Tugdual voll erwischt zu haben. Er wurde blass, wich einen Schritt zurück und ballte die Fäuste. Seine Wangen wirkten plötzlich hohl, und seine Nasenflügel bebten, als ob er nach Luft ringe. Oksa tat es weh, mit ansehen zu müssen, wie Kukkas Worte ihn verletzten. Die anderen Rette-sich-wer-kann verließen betreten den Raum, damit die Knuts diese Familienangelegenheit unter sich regeln konnten. Nur Oksa fiel es schwer, ihre Neugier zu bändigen. Widerwillig ging sie in die dämmrige Eingangshalle hinaus, setzte sich dann aber auf die große Treppe, von wo aus sie die Szene unbeobachtet weiterverfolgen konnte.
    »Falls du es schon vergessen hast«, fuhr Kukka bitterböse fort, »meine Tante Helena – die übrigens deine Mutter ist, weißt du noch? – hat schwere Depressionen bekommen, nur weil ihr Sohnemann sich für einen Meister der schwarzen Magie hielt. Sagt dir das irgendwas? Und – wenn ich dich daran erinnern darf – wegen des Egoismus und der mehr als zweifelhaften Erlebnisse dieses Pseudo-Magiers mussten acht Menschen ein Land verlassen, das sie liebten und in dem sie sich vollkommen eingelebt hatten.«
    »Kukka!«, donnerte Olof.
    »Er soll es gefälligst wissen, Papa!«, schrie sie. »Er macht es sich zu einfach! Wir haben ein angenehmes Leben geführt, bis der gnädige Herr hier anfing, seinen finsteren Ruhmesvisionen nachzuhängen. Er hat uns alle in Gefahr gebracht. Ich habe seinetwegen alles aufgeben müssen, meine Heimat, meine Freunde, alles! Und er, was hat er verloren? Vielleicht seine Freunde? Er hatte ja keinen einzigen! Wer würde auch mit so einem Monster befreundet sein wollen!«
    »Kukka, wenn Tugdual ein Monster ist, dann sind wir es alle!«, wies Naftali sie zurecht.
    »Alle, außer mir!«, schrie Kukka. »Ich bin
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