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Ohnmachtspiele

Ohnmachtspiele

Titel: Ohnmachtspiele
Autoren: G Haderer
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war.“
    „Was ist mit Nordamerika oder Australien?“, meinte Schäfer, dem der Eifer des jungen Arztes guttat, amüsiert.
    „Wie? … Ach so, ja, ist auch möglich, stimmt.“
    Schäfer steckte seinen Notizblock ein und reichte dem Arzt die Hand.
    „Sie sind ziemlich gut … ich werde schauen, ob ich damit was machen kann. Danke.“
    Als er vor dem Krankenhaus stand, sah Schäfer auf die Uhr. In einer Stunde würde er sich mit Bergmann bei Harald Ziermann zu Hause treffen. Beim Gedanken daran wurde ihm jetzt schon flau im Magen. Tod, Trauer, Ohnmacht … andererseits: Wäre ihm die Gegenwart einer dauergrinsenden Frohnatur zurzeit lieber? Sie gingen ihm doch alle gleich auf die Nerven. Er überquerte die Straße und betrat eine Bäckerei. Bestellte einen Milchkaffee und einen Topfenstrudel, setzte sich an einen kleinen Tisch und machte sich über sein spätes Frühstück her. Nachdem er einen zweiten Kaffee bestellt hatte, nahm er sein Notizbuch heraus und bereitete sich oberflächlich auf die Befragung vor. Konflikte, Feinde, Anzeichen einer depressiven Verstimmung? Währenddessen musste er immer wieder an den toten Junkie denken. Er hatte ihn vergessen, und alle anderen anscheinend auch. Weil er weniger wichtig war? Hatte er nicht immer danach gestrebt, keinen Unterschied zu machen? Auch wenn augenscheinlich niemand da war, der den Toten vermisste, alles zu tun, damit dieser einen Namen erhielt und dann ein anständiges Begräbnis? Er nahm sich vor, die Ermittlungen noch diese Woche wieder aufzunehmen. Dann bezahlte er und trat auf die Straße. Die Sonne hatte sich durch den Hochnebel gefressen und ließ ein paar strahlend blaue Löcher sehen. Schäfer schaute auf die andere Straßenseite, wo ein paar Menschen an der Straßenbahnhaltestelle standen und das Gesicht mit geschlossenen Augen nach oben hielten. Er betrachtete sie wie ein Bild in einer Ausstellung. Ein schönes Bild. Als die Straßenbahn einfuhr, lief er über die Straße und schaffte es gerade noch einzusteigen.
    Bergmanns Auto stand bereits vor dem Wohnhaus der Ziermanns. Schäfer klopfte an die Seitenscheibe, worauf sein Assistent die Wagentür öffnete und mit ihm zur Eingangstür ging. Sophie, Sonja und Harald wohnen hier, stand in kindlicher Schrift auf einem blauen Keramikschild. Harald Ziermann sah schlecht aus, sie folgten ihm ins Wohnzimmer, wo Schäfer auf einer Anrichte eine Schachtel Beruhigungstabletten bemerkte. Dann ließ er seinen Blick über die Einrichtung und die Wände wandern. Fingerfarbenbilder, Familienfotos in offensichtlich selbst gebastelten Rahmen aus Muscheln und kleinem Schwemmholz, eine Glasvase, in der drei riesige weiße Callas kurz vor dem Welken standen, über der Couch ein bunter Überwurf, wahrscheinlich auch selbst gemacht, das strahlende Lachen der Frau auf dem Hochzeitsbild über dem offenen Kamin, verstummt, verlorenes Glück, der ganze Raum schien über den Verlust zu klagen, eine Weile sagte keiner von ihnen ein Wort, als ob die Tote vor ihnen aufgebahrt wäre und sie die ewige Ruhe nicht stören wollten. Warum tue ich mir das immer noch an, fragte sich Schäfer.
    Nachdem sie sich an den Esstisch gesetzt hatten, stand Ziermann plötzlich wieder auf und fragte sie, ob er ihnen etwas anbieten könne. Ein Glas Wasser wäre sehr nett, meinte Schäfer, Bergmann stimmte zu. Kurz darauf kam Ziermann mit einem Krug und zwei Gläsern zurück, stellte sie auf den Tisch und setzte sich wieder.
    „Herr Ziermann“, begann Schäfer vorsichtig, „es ist furchtbar, was Ihnen und Ihrer Familie zugestoßen ist … ich kann dafür keine angemessenen Worte finden. Warum so etwas passiert … wir möchten jedoch herausfinden, was genau passiert ist, und dafür benötigen wir Ihre Mithilfe.“
    Ziermann sah ihn einen langen Augenblick schweigend an, als müsste er erst übersetzen, was der Polizist gesagt hatte.
    „Was genau ist denn passiert?“
    „Nach dem jetzigen Stand der Ermittlungen gibt es keine Anzeichen für fremde Gewalt“, sagte Schäfer und merkte gleichzeitig, wie formelhaft er klang. „Also zurzeit sieht es so aus, als sei Ihre Frau ins Wasser gefallen und hätte sich nicht mehr ans Ufer retten können.“
    „War Ihre Frau eine gute Schwimmerin?“, brachte sich Bergmann ein.
    „Ja … ich meine … was offene Gewässer betrifft, war Sonja immer eher ängstlich, da ist sie nahe am Ufer entlanggeschwommen … Sophie hat sie deswegen immer ausgelacht.“ Er krümmte sich zusammen und begann lautlos zu
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