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Ohnmachtspiele

Ohnmachtspiele

Titel: Ohnmachtspiele
Autoren: G Haderer
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eine mitgehabt … Schlüssel und Telefon, mehr hat sie nicht mitgenommen, wenn sie spazieren gegangen ist …“
    „Was über ihre Beziehung?“
    „Wenn er ehrlich war – und das hat ganz so ausgesehen –, dann waren sie ein Traumpaar. Immer noch verliebt, beide zufrieden mit ihrer Arbeit, eine brave Tochter … ein seltener Glücksfall, würde ich mal sagen.“
    „Und wir sind wieder mal Zeuge, wie es kaputtgeht, das Glück … wen haben wir für die Befragungen?“
    Bergmann sah ihn einen Augenblick schweigend an und meinte dann vorsichtig: „Na ja, wenn wir Glück haben, hat der Schreyer Zeit, und die junge Kovacs hilft uns immer wieder mal aus.“
    „Die sitzt doch beim Betrug …“
    „Schon … aber zurzeit müssen wir eben improvisieren und die Kovacs will ohnehin zu uns wechseln.“
    „Fantastisch“, seufzte Schäfer, „das ist jetzt schon ein Negativrekordjahr für die Aufklärungsquote und wir … wo ist denn die Leiche?“
    „Im AKH … warten Sie, ich habe die Nummer hier.“
    Nachdem Schäfer mit dem Gerichtsmediziner telefoniert und mit Bergmann die Aufgabenverteilung besprochen hatte, stand er auf und nahm seine Jacke vom Haken. Er hätte sich den vorläufigen Obduktionsbericht auch schicken lassen können, doch zum einen waren ihm diese Berichte meistens zu wenig anschaulich, und zum zweiten wollte er den neuen Gerichtsmediziner persönlich kennenlernen.
    Als er in der U-Bahn saß, bemühte er sich, die Wut zu unterdrücken, die in ihm aufzukochen begann. Es waren ja nicht nur die Personalkürzungen, die ihre Arbeit immer schwieriger machten. Welcher Führungsverantwortliche, der halbwegs bei Trost war, konnte veranlassen, die Gerichtsmedizin zuzusperren, nur weil das Gebäude veraltet war und die Technik nicht mehr dem neuesten Stand entsprach?
    Outsourcing, Sparmaßnahme, hatte es vonseiten der Stadt geheißen, worauf sich Gesundheitsministerium, Wissenschaftsministerium und der Justizminister eine Zeitlang gegenseitig beschuldigt, jeweils den anderen für verantwortlich erklärt und den Ball schließlich zurück zur Stadtverwaltung gespielt hatten. Deren Beamte waren den Weg des geringsten Widerstands gegangen, hatten die zentrale Gerichtsmedizin in der Sensengasse aufgelöst und deren Aufgaben an verschiedene Krankenhäuser delegiert. Dass die dortigen Pathologen mit den neuen Aufgaben völlig überfordert waren, dass ein öffentliches Spital kein guter Aufbewahrungsort für Faulleichen war, dass die neue provisorische Gerichtsmedizin in ihren riesigen Metallcontainern in der Nähe des Zentralfriedhofs mangels moderner Diagnosegeräte für manche Obduktionsmethoden nicht geeignet war, das war die eine Sache. Die zweite Maßnahme unter dem Deckmantel des Sparens hielt Schäfer für noch folgenschwerer: Mit einer Reform des Wiener Bestattungsgesetzes wollte die Stadt die Zahl der Obduktionen reduzieren und nahm dafür als Erstes die Toten- beschauärzte – meistens der normale Hausarzt – in die Verantwortung. Diese sollten aus der Krankengeschichte, aus den Gesprächen mit Angehörigen und aus der Situation, in der die Menschen gestorben waren, eine Todesursache herauslesen. Gut so: Hatte der raffgierige Neffe nicht versehentlich das Messer in der toten Erbtante stecken lassen oder sie mit einer Schrotflinte erschossen, gab es eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass er davonkam. Danke, Tante, aloha Hawaii! Erst vor einem Monat hatte sich ein aufmerksamer Mitarbeiter eines Bestattungsinstituts bei ihnen gemeldet, weil die Leiche eines älteren Mannes ein Einschussloch im Bauch hatte, das ihnen beim Waschen aufgefallen war. Wie das hatte übersehen werden können? Der zuständige Arzt hatte den Toten in Anwesenheit seiner Familie nicht ausziehen wollen und ein Herzversagen diagnostiziert. Immerhin: Seit einem Jahr führte die Gerichtsmedizin um ein Drittel weniger Obduktionen durch. Damit hatte sich die Stadt tatsächlich viel Geld gespart; aber auch goldene Zeiten für Giftmörder anbrechen lassen.
    Schäfer stieg aus der U-Bahn und nahm die Überführung, die ihn direkt ins Klinikgelände brachte. Ohne sich anzumelden, nahm er den Lift in den Keller, ging einen fensterlosen Gang entlang und drückte die Flügeltür zur Pathologie auf. In dem riesigen Raum hielt sich nur der junge Mann auf, den Schäfer tags zuvor beim Alberner Hafen gesehen hatte.
    „Major Schäfer“, stellte er sich vor, „wir haben eben miteinander telefoniert.“
    „Ja ja, ich meine mich zu erinnern“, witzelte
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