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Ohne Netz

Ohne Netz

Titel: Ohne Netz
Autoren: Alex Rühle
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draußen?«
    Wie viel hat mein Unbehagen mit dem Netz zu tun? Wie viel mit mir und meiner inneren Unruhe? Schließlich habe ich Freunde, die mindestens genauso viel im Netz unterwegs sind wie ich und trotzdem den Eindruck vermitteln, geerdet durch ein sinngesättigtes Leben zu laufen. Mein Alltag hingegen ist schon ohne Netz ziemlich zerschreddert, in der Arbeit gibt es Konferenzen, wir müssen Texte bestellen und redigieren, telefonieren, lesen und sollen natürlich auch selber schreiben. Dann will ich ja auch noch Vater und Ehemann sein; ich würde gerne viel mehr freie Zeit verbummeln mit meinen Kindern und meiner Frau, aber kann froh sein, wenn ich abends gerade so die Übergabe schaffe, bevor B. ihre Yogakurse gibt. Und nebenher würde ich selbstverständlich gerne noch autark und ganz und gar in mir selbst ruhen und erfüllt leben.
    B. findet das Experiment eher spleenig, sie sagt, lass den doofen Blackberry in der Arbeit und basta. Außerdem hat sie Angst, dass ich jetzt, da ich mich neben der Arbeit zusätzlich über diesen Selbstversuch beuge, noch launischer werde. »Und mehr Zeit wirste dadurch ja auch nicht haben.«
    Der zweite Grund für dieses Experiment ist der ideologisch aufgeheizte Streit ums Netz. Beeindruckend, wie alle immer recht haben und Bescheid wissen. Woher wissen die das alle nur immer so genau? In den allermeisten Fällen erweisen sich Prognosen für nie dagewesene Ereignisse als falsch. Wie sollte es auch anders sein, schließlich macht man Prognosen anhand von Parametern und Erfahrungswerten, die durch das nie Dagewesene, das man einordnen möchte, hinfällig werden. Das aber schert die schimpfenden Kulturkritiker genauso wenig wie die heilsgewissen Schwärmer: Wir gehen zugrunde am Netz, Entropie total, Fanatismus allerorten, das kollektive Gedächtnis erlischt, das Internet grillt unser Hirn zu Neuronenbrei, in wenigen Jahren werden wir eine Gesellschaft aus Barbaren und funktionalen Analphabeten sein. Aber nein, im Gegenteil, ein neues, fantastisches Zeitalter bricht an, alles ist erleuchtet, das Netz bringt uns ganz neues Metadenken bei, man hat im präfrontalen Kortex kalifornischer Facebook-User neue Synapsen entdeckt, die das Multitasking erleichtern, wir werden schneller, leichter, heller und gehen bald schon gemeinsam in den Supermind ein, die große digitale Wolke, die für uns alle denkt, fühlt und träumt. Nordkoreanischer Jubel.
    Ich will einfach wissen, wie es ohne ist, gerade weil ich mir ein Leben ohne Netz nicht mehr vorstellen kann. Die Welt wird eine Google, das Netz dringt wie Wasser in alle Lebensbereiche. Ja, es gehört für die, die drin sind, mittlerweile so selbstverständlich zum Lebenshintergrund wie die Schwerkraft oder die Luft zum Atmen. Da ist es doch mal interessant, sich für eine Weile daneben zu stellen und zu schauen, was das für Konsequenzen hat. Bin ich tatsächlich süchtig und tue mir dementsprechend schwer mit dem Entzug, oder spaziere ich nach drei Tagen munter in mein analoges Leben davon und sage achselzuckend, das ganze Suchtgerede war doch wieder mal nur unbedachte Journalistenmetaphorik?
    »Ich verlange ja gar nicht, dass man das überall macht, aber vielleicht erlaubt man uns, dass wir wenigstens in einem einzigen Haus das elektrische Licht löschen. Mal schauen, was dabei herauskommt.« Das sind die letzten Worte aus »Lob des Schattens«, einem Buch des Japaners Tanizaki Junichiro. Darin steht übrigens auch der wunderbare Satz: »Alles, was man als schön bezeichnet, entsteht in der Regel aus der Praxis des täglichen Lebens.«
    3. DEZEMBER
    Schön sieht anders aus. Ich fühle mich leer. Leer und nervös. Den ganzen Tag über ist da so ein untergründiges nervöses Ziehen von der Peripherie her, als würde meine eigene Mitte außerhalb meiner selbst liegen, und jetzt ist da nur noch ein Loch, ein Unterdrucksog, ähnlich einem saugenden Badewannenabfluss.
    Am schlimmsten spüre ich das während des Schreibens für die Zeitung: Direkt vor dem Entzugsbeginn war ich noch für fünf Tage in den Palästinensergebieten, ohne Blackberry wäre das unmöglich oder zumindest sehr schwierig gewesen: Je weniger entwickelt ein Land, desto mehr ist man auf Mail und Handy angewiesen, es gibt in solchen Gegenden ja kaum ein ausgebautes Festnetz.
    Ich sitze an einem Porträt über den englischen Krimiautor Matt Beynon Rees, mit dem ich einen Tag in Bethlehem verbracht habe, um dort die Stationen seines ersten Krimis »Der Verräter von Bethlehem«
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