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Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)

Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)

Titel: Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)
Autoren: Tom Rob Smith
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Midsommarkleid zum Vorschein. Sie hatte Blumen im Haar und Blumen zu ihren Füßen. In meiner Eile beschädigte ich das Gemälde. Meine Arbeit war zwar alles andere als eine professionelle Restaurierung, trotzdem konnte ich erahnen, wie kunstvoll das Bild gemalt war. Obwohl ich ihr Foto schon auf dem Suchplakat gesehen hatte, vermittelte mir erst das Gemälde einen Eindruck von Mia als Mensch. Sie war stolz und stark und eine Träumerin, mit hocherhobenem Kopf schritt sie durch den Wald.
    Ich dachte daran, wie Mia mitten in der Nacht weggelaufen war, und meine Mum hatte recht, es ergab keinen Sinn. Es sei denn, Mia hatte Hilfe gehabt. Jemand hatte sie abgeholt – ihr Geliebter. Ich vermutete, es war derselbe, der sie im Leuchtturm gemalt hatte. Als ich die Erzählung meiner Mum durchging, dachte ich plötzlich, der Mann, der Mia bei dem ersten Midsommarfest beleidigt hatte, könnte ihr Freund gewesen sein, der junge Mann mit den langen Haaren und dem Ohrring. Warum war er überhaupt so weit gegangen? Mit seiner rassistischen Bemerkung wollte er Håkan vielleicht von sich ablenken. Mia war nicht aus dem Zelt gerannt, weil sie zutiefst verletzt war; sie wusste, dass die unsägliche Bemerkung nötig gewesen war, um Håkan zu täuschen. Sie war weggelaufen, weil sie wütend war, dass Håkan sich eingemischt hatte. Wenn der junge Mann während der Tourismussaison im Sommer als Aushilfe hier in der Gegend gearbeitet hatte, war er vielleicht ein Student.
    Ein Freund von Mark arbeitete in einer Galerie für zeitgenössische Kunst in Ostlondon, und ich sprach mit ihm ab, dass ich seine Mailadresse benutzen durfte. Ich schrieb jede Universität und jede Kunsthochschule in Schweden an, schickte einige Fotos von dem Wandgemälde im verlassenen Leuchtturm mit und erklärte, die Galerie würde den Künstler, der das gemalt hatte, gerne kennenlernen. Die Antworten trudelten über mehrere Tage ein – alle negativ, bis eine Mail von einem Dozenten an der Konstfack kam, der größten Kunst- und Designhochschule Schwedens, die gleich südlich der Hauptstadt lag. Er war sicher, das Wandgemälde würde von einem seiner ehemaligen Studenten stammen. Der Künstler hatte vor Kurzem seinen Abschluss gemacht. Wäre der Dozent misstrauisch gewesen, hätte er sich gewundert, woher eine private Galerie in London etwas über einen verlassenen Leuchtturm in Südschweden wusste, aber ich hatte mir ausgerechnet, dass die Mail schmeichelhaft und aufregend genug war, um die meisten Zweifel zu überwinden. Wir vereinbarten ein Treffen in Stockholm. Der Künstler hieß Anders.
    Ich fuhr einen Abend vorher nach Stockholm, nahm das billigste Zimmer in einem Edelhotel in Ufernähe und bereitete mich den Großteil der Nacht auf meine Rolle vor, indem ich Beschreibungen unbekannter neuer Künstler las. Am nächsten Morgen wartete ich in der Lobby und beobachtete den Eingang. Anders erschien früher als ausgemacht, in schwarzer Jeans und schwarzem Hemd, groß und attraktiv. Er trug einen Ohrring und hatte sich sein Portfolio unter den Arm geklemmt. Wir unterhielten uns eine Weile über seine Kunst. Ich bewunderte sein Talent ehrlich. Über mich erzählte ich allerdings viele Lügen und staunte dabei, wie gut ich darin im Laufe der Jahre geworden war. Aber etwas war anders. Ich hasste jede einzelne Lüge. Ich sagte nur nicht die Wahrheit, weil ich Angst hatte, es würde alles ruinieren. Vielleicht wollte Mia nicht gefunden werden. Wenn ich die Wahrheit sagte, würde Anders vielleicht gehen.
    In meiner Rolle als Galerist brachte ich langsam die Bitte vor, mir auch die anderen Kunstwerke ansehen zu dürfen – die Bilder, die zu groß waren, um sie ins Hotel zu bringen. Ich ging davon aus, dass er sich kein Atelier leisten konnte. Er würde zu Hause arbeiten, und wenn Mia mit ihm weggelaufen war, würde sie auch dort sein, oder wenigstens irgendeine Spur von ihr. Der Plan funktionierte. Er erklärte verlegen, dafür müsse ich in seine Wohnung kommen, und entschuldigte sich, dass er weit draußen wohnte, weil er sich die hohen Preise in Stockholm nicht leisten konnte. Ich sagte:
    »Das Hotel kann uns einen Wagen besorgen.«
    Als ich unsere Kaffees mit hundert Kronen bezahlen wollte, bemerkte ich auf dem Geldschein kein berühmtes Gesicht, keinen Erfinder oder Politiker, sondern eine Honigbiene. Anders hatte sich von seinem Sitz erhoben, als ich auf Schwedisch sagte:
    »Warten Sie.«
    Ich dachte an die saubere, glatte Schneedecke vor dem Hof und an meine
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