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Ohne jede Spur

Ohne jede Spur

Titel: Ohne jede Spur
Autoren: Lisa Gardner
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während die Eltern längst im Bett lagen und schliefen. Sie hätten dies bereits in ihrer ersten gemeinsamen Nacht tun sollen, fand er jetzt. Andere Paare machten Flitterwochen. Sie hätten genauso beieinanderhocken und miteinander reden sollen.
    Er spürte ihren Schenkel an seiner Haut, ihre Finger, die sich mit seinen verschränkt hatten. Seine Frau saß neben ihm. Er wollte, dass es so blieb.
    Er sagte: «Du hast mir einmal gesagt, was geschehenist, lässt sich nicht ungeschehen machen, dass Worte, wenn sie einmal ausgesprochen sind, nicht zurückgenommen werden können. Du hattest recht. Wir sind gezeichnet, du und ich. Wir würden uns selbst inmitten einer großen Menge allein fühlen, denn wir wissen, was andere nicht wissen, und haben Dinge getan, die andere nie tun mussten.
    Die Polizei hat mich nach Hause geschickt, aber ich konnte nicht einmal für meine Eltern wieder der Junge sein, der ich einmal gewesen bin. Sie waren überfordert mit mir. Am Morgen meines achtzehnten Geburtstags, als ich Ritas Erbschaft antreten konnte, habe ich mich davongemacht. Ich wollte nicht länger Joshua Ferris sein. Also habe ich einen anderen Namen angenommen, später wieder einen anderen und immer so weiter. Ich wurde richtig gut im Erfinden neuer Identitäten und war stolz darauf.»
    Sandra streichelte seinen Handrücken. «Joshua   –»
    «Jason, bitte. Wenn ich lieber Joshua sein wollte, wäre ich in Georgia geblieben. Dass ich – dass wir hierhergezogen sind, hat Gründe.»
    «Aber das ist es, was ich nicht verstehe», platzte es aus ihr heraus. «Du hast doch selbst gesagt: Wir haben so vieles miteinander gemein. Warum erfahre ich erst heute, was dir widerfahren ist? Hättest du dich mir nicht schon früher anvertrauen können, spätestens zu dem Zeitpunkt, als ich dir von meiner Mutter erzählt habe?»
    Er zögerte. «Ich beziehe nicht nur pornographische Fotos über das Netz. Ich, hmm   … Nun, sagen wir einfach, ich habe mich selbst zu therapieren versucht. Vergeblich.Eines Nachts habe ich am Computer meiner Eltern diverse Chatrooms durchforstet. Gezielt. Kurzum, ich machte Bekanntschaft mit Typen, die auf Jungs wie mich scharf sind. Es war nicht schwer, ihnen im Austausch gegen meine alten Fotos ihre Kreditkartennummern und persönliche Informationen abzuschwatzen. Meine Art der Rache: Ich plündere ihre Konten, hole das Maximum aus den Karten heraus, richte eigene Konten unter deren Namen ein und überweise sämtliche Einlagen an das National Center for Missing & Exploited Children. Sie gehen mir ins Netz, und ich sauge sie aus. Wie eine Spinne.
    Zugegeben, damit habe ich mich strafbar gemacht», schloss er. «Aber ich musste es tun, um bei Verstand zu bleiben.»
    «Damit also hast du dir all die Nächte um die Ohren geschlagen.»
    Jason zuckte mit den Achseln. «Ich kann ohnehin nicht gut schlafen. Also habe ich versucht, meine wachen Stunden sinnvoll zu nutzen.»
    «Was ist mit deiner Familie?»
    «Meine Familie wollte Joshua, und Joshua existiert nicht mehr. Aber Jason Jones hat eine wunderschöne Frau und eine großartige kleine Tochter. Eine bessere Familie kann man sich nicht wünschen.»
    «Ich verstehe das nicht», sagte sie. «Warum hast du mich geheiratet? Du hättest dich doch nicht mit einer Frau belasten müssen, um dir deinen Kinderwunsch erfüllen zu können.»
    Er legte ihr zwei Finger auf die Lippen. «Ich habe mirdich gewünscht, Sandy», flüsterte er. «Seit dem Moment, als ich dich das erste Mal sah, wollte ich, dass du meine Frau wirst. Ich bin ein schrecklicher Ehemann. Ich   … bringe   … manches, was von einem guten Ehemann zu erwarten ist, einfach nicht zustande. Das tut mir leid. Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, wenn ich mich damals nicht aufs Fahrrad gesetzt hätte und die Straße entlanggeradelt wäre, als sich mir dieser Kerl in den Weg stellte, ich vom Rad stürzte und er   …»
    Er schüttelte den Kopf. «Ich weiß, ich bin nicht vollkommen. Aber wenn ich mit dir und Ree zusammen bin, möchte ich es versuchen. Vielleicht werde ich nie mehr Joshua Ferris sein können. Aber ich arbeite schwer daran, Jason Jones zu sein.»
    Sie weinte. Er spürte ihre Tränen an seinen Fingern, hob auch die andere Hand vor ihr Gesicht und strich behutsam mit beiden Daumen die Tränen von den Wangen. Er sah die aufgeplatzte Lippe, den blauen Fleck an der Schläfe und fürchtete sich davor, den Rest ihrer Geschichte mit anhören zu müssen.
    Seine Frau war geschlagen und verletzt
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