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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung
Autoren: Alastair Reynolds
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hätten das Mobiliar
imprägniert. Sie war froh gewesen, keine so feine Nase zu haben.
Sie ist ohnedies schon verängstigt genug: mehr, als sie ihm
zeigen will. Und als die Nestbauer sie bis in dieses System
verfolgten, war die Angst noch größer geworden. Das halb
durchsichtige Schiff mit dem kunstvoll geriffelten, von Kammern
durchzogenen Spiralrumpf ist eines der letzten Raumschiffe im Orbit.
Sind die Nestbauer hinter ihr her, oder sind sie nur als
Zuschauer gekommen?
    Sie wendet sich wieder dem Meer zu. Vielleicht bildet sie es sich
nur ein, aber die leuchtenden Flecken scheinen ihr zahlreicher und
größer geworden zu sein; nun erinnern sie nicht mehr an
eine Galeerenflotte, sondern eher an eine versunkene Stadt. Und sie
kriechen auf die Spitze der Mole zu. Der Ozean wittert ihre
Gegenwart: Winzige Organismen schweben über dem Wasser, dringen
in die Haut ein, wandern mit dem Blut in ihr Gehirn.
    Wie viel das Meer wohl wissen mag? Es muss die Evakuierung
gespürt haben, die ihm so viele menschliche Bewusstseine
entzogen hat. Sicherlich vermisst es das Kommen und Gehen der
Schwimmer und die neuronalen Informationen, die sie mitbrachten.
Vielleicht hat es sogar mitbekommen, dass die Überwachung des
Rings eingestellt wurde: Zwei oder drei kleine Fragmente des
früheren Mondes sind bereits ins Wasser gestürzt,
allerdings nicht in der näheren Umgebung dieser Inseln. Doch
inwieweit mag dem Ozean bekannt sein, was geschehen wird?
    Sie gibt den Schmetterlingen einen neuen Befehl. Ein Teil des
Schwarms löst sich von ihrem Ärmel, die Tiere legen die
Flügel aneinander und bilden vor ihrem Gesicht eine
taschentuchgroße Fläche mit gezacktem Rand. Die
Flügel an den Kanten flattern weiter. Das Tuch wechselt die
Farbe und wird durchsichtig, nur der Rand bleibt violett. Sie legt
den Kopf in den Nacken und schaut durch den Schuttring hinauf in den
Abendhimmel. Die Schmetterlinge blenden, ein Rechentrick, den Ring
und den Mond aus. Der Himmel verdunkelt sich ganz allmählich,
die Schwärze vertieft sich, die Sterne treten heller hervor. Sie
überlegt nur kurz, dann wählt sie einen Stern aus und
betrachtet ihn genauer.
    Der Stern ist nicht weiter bemerkenswert, abgesehen davon, dass er
nur ein paar Lichtjahre entfernt und damit von diesem System aus
gesehen der nächste ist. Aber er ist zum Meilenstein geworden,
zur vordersten Welle einer Flut, die nicht mehr aufzuhalten ist. Sie
war dabei, als jenes System vor dreißig Jahren evakuiert
wurde.
    Die Schmetterlinge vollführen einen weiteren Rechentrick. Sie
konzentrieren sich auf diesen einen Stern und holen ihn näher
heran. Er wird heller und zeigt schließlich Farbe. Jetzt ist er
nicht mehr weiß, nicht einmal bläulich weiß, sondern
hat einen unübersehbaren grünen Schimmer.
    Ein unnatürliches Grün.

 
Eins
Ararat,
System p Eridani A

2675
     
     
    Vasko schwamm ans Ufer. Scorpio ließ den jungen Mann nicht
aus den Augen. Die ganze Fahrt über hatte er über den Tod
durch Ertrinken nachgedacht und sich vorgestellt, wie es wäre,
in den lichtlosen Tiefen zu versinken. Es hieß, wenn man schon
sterben müsste, wäre Ertrinken nicht die schlimmste
Todesart. Woher die Leute das wissen wollten, und ob es auch für
Schweine galt, war allerdings fraglich.
    Solchen Gedanken hing er immer noch nach, als das Boot
allmählich zum Stehen kam. Der elektrische Außenbordmotor
raste weiter, bis er ihn ausschaltete.
    Scorpio stocherte mit einem Stock im Wasser herum. Nach seiner
Schätzung war es höchstens einen halben Meter tief. Er
hatte gehofft, durch eine der Fahrrinnen näher an die Insel
heranzukommen, aber es musste auch so gehen. Selbst wenn er mit Vasko
keinen Treffpunkt vereinbart hätte, die Zeit reichte nicht aus,
um wieder aufs offene Meer hinauszufahren und sich auf die Suche zu
machen. Fahrrinnen waren schon bei ruhiger See und völlig
wolkenlosem Himmel nur mit Mühe zu finden.
    Scorpio ging zum Bug, griff nach dem plastikummantelten Seil, das
Vasko als Kopfkissen benutzt hatte, und wickelte sich ein Ende fest
um das Handgelenk. Dann sprang er mit einer einzigen fließenden
Bewegung über Bord und landete spritzend im flachen Wasser. Die
flaschengrünen Fluten reichten ihm nur knapp über die Knie.
Das Leder seiner Stiefel und seiner Gamaschen war so dick, dass er
die Kälte kaum spürte. Das Boot war ein paar Grad
abgetrieben, seit er ausgestiegen war, aber er straffte die Leine mit
einem Ruck, und der Bug kam herum. Dann nahm er die Leine über
die Schulter,
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