Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Odo und Lupus 01 - Demetrias Rache

Odo und Lupus 01 - Demetrias Rache

Titel: Odo und Lupus 01 - Demetrias Rache
Autoren: Robert Gordian
Vom Netzwerk:
Nase, unter der sich der gewaltigste Schnurrbart sträubt, den je ein Franke getragen hat. Wie alt er ist, weiß ich bis heute nicht, er macht ein Geheimnis daraus. Vermutlich ist er jünger als ich, also unter fünfunddreißig, was er jedoch nicht zugeben will. Sein Aufzug verriet auch an jenem Tag das Dilemma, in dem er steckt: zwischen dem Anspruch eines standesgemäßen Auftretens und seinen eher bescheidenen Mitteln. Betrachtete man ihn von Kopf bis Fuß, sah man den Glanz allmählich in Elend übergehen. Dem prächtigen golddurchwirkten Stirnband und der mit einem Rubin geschmückten Fibel, die den seidenen Mantel hielt, folgten über der schäbigen Tunika ein einfacher Gürtel, darunter abgetragenen Hosen und unter den kreuzweise geschnürten Lederstrümpfen als kläglicher Abschluss ein Paar löchrige Stiefel, die längst ihren Abschied verdient hätten. Der Mann war ein wandelnder Widerspruch, aber auch ein witziger Kopf. Schon während der Rede des Herrn Karl hatte er halblaut in seinem romanischen Dialekt respektlose Bemerkungen gemacht. Natürlich hatte ich mich gehütet, ihm beizustimmen, mich aber im Stillen darüber belustigt.
    Als jetzt die Mandatsgebiete im Nordwesten, in der Francia occidentalis , vergeben wurden, gebärdete sich mein Nachbar besonders lebhaft. Er grollte und brummte, wenn ihm wieder ein „fetter Happen“ entgangen war. Auch er gehörte also zu denen, die wie ich noch nicht wussten, wohin man sie schicken würde.
    Für das Gebiet um Paris, die berühmte Stadt in Neustrien, die mit den Regionen um Chartres und Evreux ein einheitliches missaticum bildete, war erst einer der Königsboten bestimmt, ein Bischof. Der weltliche Partner wurde noch gesucht, da der vorgesehene Kandidat für das Amt ein Kommando im Heer übernehmen sollte. Der König erkundigte sich, ob sich jemand bewerbe. Mein Nachbar drängte sich so heftig nach vorn, dass er mich beinahe umstieß.
    „Ich, Herr! Sendet mich nach Paris!“
    Der Herr Karl blickte skeptisch zu ihm herüber.
    „Und warum glaubst gerade du, Odo, für diese Mission geeignet zu sein?“
    „Weil Paris die Stadt der Könige ist. Meiner Vorfahren!“
    „Deine Vorfahren waren dort Könige?“
    „So ist es. Ich bin ein Nachkomme Chlodwigs.“
    „Sieh einmal an, das wusste ich gar nicht. War denn ein Kebsweib des letzten Merowingers deine Großmutter?“
    Da erhob sich dröhnendes Gelächter. Mein Nachbar, verlegen und wütend zugleich, fasste unwillkürlich nach seinem Gürtel. Aber dort steckte kein Schwert. Denn natürlich war es nur wenigen Großen gestattet, in der Nähe des Herrschers Waffen zu tragen.
    Als endlich wieder Ruhe eintrat, setzte der Herr Karl, der ausgiebig mitgelacht hatte, seine Befragung fort.
    „Über deine Herkunft wissen wir nun also Bescheid. Kannst du aber noch andere Gründe dafür anführen, dass du dich für Paris bewirbst?“
    „Das kann ich!“, sagte mein Nachbar dreist. Er hob seine Faust und schüttelte sie. „Dort wird eine starke Hand gebraucht – so eine wie diese! Ich war oft genug in Paris, Herr König, ich kenne mich aus, das könnt Ihr mir glauben. Es gibt dort mehr Diebe und Räuber als Fliegen und Mücken, an jeder Straßenecke liegt ein Ermordeter. Das Blut läuft in Bächen die Gassen hinunter. Von den Witwen und Waisen schweige ich … sie werden von allen betrogen und ins Elend gestoßen. Dringend brauchen sie einen Beschützer. Erlaubt bitte, dass ich mich ihrer annehme!“
    „Ja, vor allem der Witwen!“, rief einer der Herren.
    „Und der Waisen, sofern sie Jungfrauen sind!“, tönte es aus einer anderen Ecke.
    Wieder erhob sich ein großes Gelächter. Der König sprach kurz mit seinen Räten. Dann deutete er auf einen anderen Vasallen.
    „Vizegraf Rollo! Mach du dich bereit für Paris und Chartres!“
    Herr Odo, wie ihn der König genannt hatte, drehte sich heftig um und trat zurück in die Reihe. Ich allein hörte wohl den Fluch, den er zwischen zusammengebissenen Zähnen ausstieß. Es war der unanständigste, den ich je vernommen hatte.
    Dennoch tat mein Nachbar mir leid. Er war verspottet und gedemütigt worden und ich hätte ihm gern etwas Tröstendes gesagt. Doch seine Miene war so finster und starr, dass ich es lieber unterließ.
    Es wurden nun weitere missatica vergeben und obwohl auch manchmal der geistliche Amtsträger noch zu bestimmen war, wagte ich nicht, mich zu melden. Es waren auch immer einige schneller als ich und ich fürchtete schon, dass ich am Ende als Einziger
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher