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Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Titel: Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren
Autoren: Batya Gur
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wie schnell die anderen die Augen senkten, wenn er sie anschaute – und er war Dworka dankbar, daß sie ihn nicht mit dieser quälenden Sanftheit behandelte, die ihn in seiner ganzen Schwäche vor ihr bloßgestellt hätte. Erst am Ende des Gesprächs, als sie schon aufgestanden war, beugte sie sich, die beiden Kaffeetassen in den Händen, fast zu ihm hinunter und sagte mit zögernder Wärme: »Falls persönliche Motive bei deiner Entscheidung eine Rolle spie len, auch dafür hat man in der Vergangenheit immer eine Lösung gefunden.« Er hatte diesen Satz ignoriert und war schwerfällig aufgestanden, während sie hinzufügte: »Trotzdem, nicht jeder wird in deinem Alter zum Koordinator der Feldarbeit. Du scheinst die Bedeutung dieser Aufgabe nicht genügend zu würdigen.« Und wieder hörte Aharon hinter diesen Worten den Hinweis darauf, daß er ja kein Sohn des Kibbuz war, daß er von außerhalb gekommen war und trotzdem mit einer hochrangigen Aufgabe betraut wurde. Der Ärger half ihm, genügend Kraft aufzubringen, um die Schultern zu straffen und zu sagen: »Ich werde darüber nachdenken. Ich habe mich noch nicht endgültig entschieden.«
    Manchmal, wenn er von Jerusalem nach Hause fuhr, fragte er sich, was er wohl erreicht hätte, wenn Osnat sich nicht für Juwik entschieden hätte, wenn er selbst im Kibbuz geblieben wäre, zusammen mit ihr. Hätte er sich in dieses ruhige Leben sinken lassen, Kinder aufgezogen und bei den Plenumsabenden heftig diskutiert? Aber er schaffte es nie, sich dieses Bild bis zum Ende auszumalen, seine Vorstellungskraft hörte immer an dem Zeitpunkt auf, wenn er und sie abends, nachdem sie die Kinder im Kinderhaus zu Bett gebracht hatten, allein in ihrem Zimmer waren. (Osnat hatte vier Kinder mit Juwik – wie viele wären es wohl, wenn sie sich für ihn entschieden hätte?). Hier verschwamm das Bild regelmäßig, und die alte, noch immer scharfe und lebhafte Wut stieg in ihm auf.
    Die Zeremonie war zu Ende. Aharon betrachtete die Leute, die nun allmählich die Richtung zum Speisesaal einschlugen, und wartete auf Mojsch. Der unterhielt sich noch mit dem Mann, der das Mikrofon zusammenpackte. Aharon dachte an die Schawu'otfeier von vor dreißig Jahren. Damals gab es noch keine Cremes, auch keine tropischen Früchte, und damals war auf den Gesichtern der Leute auch noch nicht diese gleichgültige Ruhe zu sehen gewesen, so wie heute. Alle waren erregter gewesen, niemand hatte verzeihend gelächelt, und sogar die Freude war anders gewesen, angespannter. Die Vorbereitungen hatten sich endlos hingezogen, so ernst hatten sie ihre Aufgaben genom men. In seinem zweiten Jahr im Kibbuz hatte er den kleinen Esel geführt, der im Kinderzoo geboren worden war. Er sah sich selbst irgendwo mitten in der Reihe stehen, sah die Schultern von Hadas, die den von den Kindern gebackenen Brotlaib trug, und ihren Zopf. Jetzt lebte sie in den Vereinig ten Staaten. Bereits vor Jahren war sie ihrem Mann gefolgt und hatte den Kibbuz verlassen.
    Schon lange lebten die Chawerim nicht mehr in ihrem »Zimmer«, sondern in Häusern mit drei Räumen, in denen alles zu finden war, was eine Wohnung brauchte – Kühlschrank, Gasofen, Spülbecken, Kaffeemühle und Mixer. Und im internen Videonetz wurden in den späten Nachtstunden Filme gezeigt, ebenso auf Video aufgenommene Sendungen, vor allem das Samstagabendprogramm, so daß die Mitglieder die Sicha , die Plenumsabende des Kibbuz, besuchen und trotzdem das Programm sehen konnten. »Es ist schwer, gegen die Konkurrenz des Fernsehens anzukom men«, hatte Mojsch gesagt und hinzugefügt, daß auch die Plenumsabende aufgenommen und gesendet wurden. »Wir haben gleich zwei Videokameras gekauft«, hatte er erklärt, »für ein paar ältere Chawerim, die aus physischen Gründen nicht anwesend sein können.«
    Aharon ging nun neben Chawale, Mojschs Frau, die die klebrige Hand ihres jüngsten Sohnes festhielt. Der andere schlenderte hinter ihnen her, und die beiden größten Kinder, ein Sohn und eine Tochter, schlugen die Richtung zum Denkmal für die Gefallenen ein, von wo laute Stimmen zu hören waren. Aharon betrachtete Chawale und überlegte erstaunt, daß sie bald Großmutter sein würde. Die Zufriedenheit in ihren Augen, als sie ihren großen Kindern nachschaute, ließ den säuerlichen Ausdruck, den er im Zimmer auf ihrem Gesicht gesehen hatte, fast ganz verschwinden. Säuerlichkeit und Unzufriedenheit hatten auch in ihrer Stimme gelegen, bevor Mojsch den Streit zwischen
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