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Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Titel: Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren
Autoren: Batya Gur
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hatte gelächelt. »Die gleiche Stimme wie früher, die gleiche Kraft. Zum Fürchten.«
    Fast acht Jahre waren seit Aharons letztem Besuch hier vergangen. Und als er die Einladung zum Jubiläum und zum Wochenfest angenommen hatte, hatte er vor allem an Os nat gedacht. Jahrelang hatte er sie nicht mehr gesehen. Wie viele Jahre sind es eigentlich? fragte er sich und begann langsam zu zählen. Er überlegte, ob Arnon schon geboren war, als er das letzte Mal den Kibbuz besucht hatte, und meinte sich verschwommen zu erinnern, daß Dafna noch schwanger gewesen war. Nicht nur der Gedanke an Osnat hatte ihn daran gehindert, öfter herzukommen. Sogar nachdem er eine öffentliche Person geworden war, immerhin Parlamentsmitglied, fühlte er ein heftiges Unbehagen, wenn er an den Kibbuz dachte. In Angaben zu seiner Biographie wurde oft erwähnt, daß er ursprünglich ein Kibbuzmitglied gewesen war, und es gab auch Zeitungen, die darauf hinwiesen, daß er ein Kind von draußen gewesen war, das in die Gemeinschaft integriert worden war und den Kibbuz nach Beendigung des Studiums verließ. Eine Zeitung hatte sogar geschrieben, er habe auf Kosten des Kibbuz seine Ausbildung gemacht und sei erst dann weggegangen. Als »eine der großen Enttäuschungen der Kibbuzbewegung« hatte ihn einmal ein bekannter Journalist bezeichnet und in psychologisierender Weise »den peinlichen Protest des Parlamentariers Meros gegen eine Senkung der Schuldenlast, welche die Kibbuzbewegung drückt« erklärt.
    Es war Angst, die ihn von Besuchen abhielt, Angst vor dem Unbehagen und der Bedrückung, die ihn jedesmal befielen, wenn er vor dem Tor stand. Seltsam, eigentlich müßte ich mich wohl und entspannt fühlen, hatte er morgens, auf dem Weg hierher, überlegt und versucht, einen plötzlichen Anflug von Beklemmung abzuschütteln. Am Telefon hatte Mojsch gesagt: »Mensch, fünfzig Jahre, das ist doch was, vielleicht gibst du dir mal ein bißchen Mühe und richtest es so ein, daß du kommen kannst.« Aharon hatte sich keine besondere Mühe geben müssen. Man hätte der Sache sogar einen offiziellen Anstrich geben können, sozusagen eine PR-Aktion daraus machen können, aber aus irgendeinem Grund hatte er es nicht öffentlich gemacht und niemandem mitgeteilt, wo er die nächsten Tage zu verbringen gedachte, nur seiner Tochter, und auch ihr gegenüber hatte er »vielleicht« gesagt. Er hatte eine Verabredung mit dem Chef der Abteilung Schulwesen im Rathaus von Aschkelon angesetzt, und nach diesem Treffen, ohne daß er eigentlich einen Entschluß gefaßt hatte (am Telefon hatte er zu Mojsch gesagt: »Ich werde mir Mühe geben, aber ich kann es nicht versprechen, du weißt ja, wie das ist«), hatte er im letzten Moment das Lenkrad herumgerissen und war zum Kibbuz gefahren.
    Diesmal hatte ihn schon am Eingang ein seltsames Gefühl ergriffen: Er kam sich vor wie jemand, der als Sieger zurück kehrt. Bei seinem letzten Besuch war er ein ziemlich erfolg reicher, hier allerdings unbekannter Anwalt gewesen, während er nun eine Visitenkarte besaß, die auch die Leute hier nicht ignorieren konnten. Andererseits spürte er neben dem Siegergefühl die alte Last nur um so deutlicher. Er versuchte, diese Empfindungen abzuschütteln, peinliche Erinnerungen, Kummer, Einsamkeit, Scham. Vor allem die Scham. Brennend stiegen die Bilder aus der Vergangenheit in ihm auf, und mit ihnen auch der heftige Schmerz in seinem linken Arm, der Schmerz, dessentwegen er aufgehört hatte zu rauchen.
    Als er sein Auto neben der Siedlung, in der Mojsch wohnte, geparkt hatte, bemerkte er zwei Jugendliche, die sich unterhielten und ihn dabei mit offenkundiger Neugier auf eine nachlässige, unentschiedene Art musterten. Sie tru gen blaue Arbeitskleidung, und einer von ihnen hielt eine große Bohrmaschine in der Hand. Aharon war sicher, daß sie ihn aufgrund von Zeitungsfotos und Fernsehauftritten erkannten – in der letzten Zeit hatte man sein Gesicht sehr oft auf dem Bildschirm sehen können –, und als sie jetzt schwiegen, wußte er nicht, ob sie es taten, weil sie ihn erkannt hatten.
    Als er mittags, im Speisesaal, zu Dworka ging, wieder mit dem Siegergefühl, das er seinen politischen Erfolgen verdankte, wunderte er sich über den zögernden Ausdruck auf ihrem Gesicht. Einen Moment lang fürchtete er, sie habe ihn nicht erkannt. Doch sie nickte und drückte ihm die Hand – die ihre war hart, mit einer sehr rauhen Haut, aber ihr Händedruck war weich, und sie lachte nicht. Bevor sie sich
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