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Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Titel: Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren
Autoren: Batya Gur
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Neugier, mit der er das Schränkchen geöffnet hatte. Dort, neben Nachtcremes von Lina, die noch immer die Kosmetikerin des Kibbuz war, in rosafarbenen Plastikdöschen, auf deren Deckel zum Beispiel stand: »Augencreme Chawa A.« oder »Handcreme Chawa A.«, sah er eine Dose mit der Aufschrift »Tagamet« und eine Flasche mit einer milchigen Flüssigkeit und der Bezeichnung »Alumag«. Das »Tagamet« war laut Aufschrift für Mosche Ajal. Aharon las den Verwendungshinweis und stellte fest, daß sein Jugendfreund, dieser gelassene, breitschultrige Mann mit den ergrauenden Haaren, an einem Magengeschwür litt. Er empfand ein seltsames Gefühl wilder Freude neben einem tiefen Erstaunen. Sie war nur ein Schein, die Gelassenheit, die beim Mittagessen und später bei der Zere monie geherrscht hatte und die zweifellos auch beim festlichen Abendessen herrschen würde.
    Auf der Bühne im Speisesaal stand nun Dworka am Mikrofon und las den Text aus der Bibel vor. Die Chawerim blätterten in den Broschüren, die vor ihnen lagen und das Programm der Schawu'otfeier enthielten, zum Jubiläum des Kibbuz. Noch immer war Dworkas Stimme beeindruckend, voller Gefühl, obwohl sie manchmal brach, als könne sie es kaum ertragen. Sie las aus dem Buch Ruth, die Frau von draußen, die mit ihrer Schwiegermutter in das fremde Land gegangen war, und Aharon fragte sich, ob auch sie nun an Osnat dachte. Er selbst erschrak bei dieser Assoziation (»Wieso fremd?« fragte er sich), und seine Gedanken kehrten zurück zu Dworka. Sie hat sich verändert, dachte er, sie scheint bitterer geworden zu sein.
    »Das hat schon angefangen, bevor Juwik gefallen ist«, sagte Mojsch, als Aharon ihn fragte. »Sie wird alt, und sie leidet darunter. Erst ist ihr Jehuda gestorben, und dann die Sache mit Juwik im Libanon. In seinem Alter hätte er gar nicht dort sein sollen. Ein Jahr später wäre er vom Reservedienst befreit worden. Ihr einziger Halt sind jetzt nur noch die Enkel und Osnat.« Aharon spürte, daß er rot wurde, doch Mojsch konzentrierte sich auf die Kaffeetassen, er schaute ihn nicht an, sondern fuhr fort: »Ja, ihr Verhältnis zu Osnat rettet Dworka. Aber Osnat ist von der fixen Idee besessen, daß die Kinder bei ihren Eltern schlafen sollen, und sie streitet deswegen mit allen.«
    »Ist Dworka dafür oder dagegen?« fragte Aharon, obwohl die Erwähnung ihres Namens jeden anderen Gedanken aus seinem Bewußtsein schob.
    »Dagegen. Natürlich ist sie dagegen. Was ist los mit dir? « murmelte Mojsch. »Kennst du etwa Dworkas Ansichten nicht mehr?«
    »Doch, natürlich, aber ich habe gedacht, sie wäre in solchen Dingen flexibler, schließlich setzt sich das in den anderen Kibbuzim durch, und ...«
    Langsam und feierlich klappte Dworka die kleine Bibel
    zu, nahm ihre Lesebrille ab und verließ mit festen Schritten die Bühne. Einen Moment lang schaute Aharon ihr nach, wie sie zur Küche ging, mit gebeugten Schultern und dem Haarknoten, der dünn und silbern geworden war, dann wandte er den Blick wieder der Bühne zu.
    Dort stand jetzt eine Gruppe kleinerer, blau-weiß gekleideter Kinder. »Das sind die Bambis«, sagte Chawale und fügte, bevor Aharon sich erkundigen konnte, erklärend hinzu: »Die Zweitkläßler.« Er betrachtete die vor Gesundheit strotzenden Kinder, hörte zu, wie begeistert sie den Text rezitierten, den sie selbst geschrieben hatten, wie ernst haft und feierlich sie die Worte aussprachen, und als alle Zuhörer klatschten, sah man auf den Gesichtern einiger Kinder ein stolzes Lächeln, so daß ihre Zahnlücken sichtba r wurden. Doch die Erinnerungen und das Wissen, daß nicht alles so einfach war, und selbst die Langeweile, die sich langsam von seinem Herzen in die Glieder ausbreitete und sie träge und schwer machte, reichten nicht aus, ihm das Gefühl zu nehmen, daß hier die wirkliche Ruhe zu finden sei, die Ruhe für Körper und Seele, ganz zu schweigen von der bitteren Gewißheit, daß er ein Außenseiter war und keine Chance hatte, an diesem glücklichen und vollkommenen Leben teilzuhaben. Es war, wie Chawale, als sie noch im Zimmer waren, in der für sie typischen Gleichgültigkeit gesagt hatte: »Du würdest es nicht aushalten hier. Wenn ich mich recht erinnere, hattest du immer deine Schwierigkeiten damit. Du bist einfach nicht der Mensch dazu, die Souveränität der Sicha zu akzeptieren, die Entschlüsse des Plenums.« So hatte sie es ausgedrückt, »die Souveränität der Sicha zu akzeptieren«, eine Formulierung, die sich
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