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Nur Mut, liebe Ruth

Nur Mut, liebe Ruth

Titel: Nur Mut, liebe Ruth
Autoren: Marie Louise Fischer
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schön
gemacht hätten.
    Auch Ruth war schick angezogen.
Sie trug ihr neues maigrünes Kostümchen und darunter ein orangefarbenes
Blüschen. — „Das ist eine hochaktuelle Kombination“, hatte die Verkäuferin
behauptet und Ruth fühlte sich sehr damenhaft.
    Nach etwa zwanzig Minuten hatte
sie die Innenstadt hinter sich gelassen, und die ersten Holzhäuser in den
Schrebergärten tauchten vor ihr auf. Hier herrschte ein lebhaftes Treiben. Die
Schrebergärtner waren mitsamt ihren Familien dabei, ihr geliebtes Stückchen
Land für das Frühjahr und den Sommer zu bestellen. Es wurde umgegraben und
geharkt, gesät und Zwiebeln gesteckt, Komposterde ausgebreitet und Zäune gestrichen.
    Ruth beobachtete alles
aufmerksam, während sie an den Gärten vorbeispazierte.
    Dann ließ sie die kleine
Kolonie hinter sich. Es erstreckten sich etwa hundert Meter unbebautes Land bis
zu einem einsamen dreistöckigen Haus, das dastand, als wenn es sich verirrt
hätte. Nach vorne heraus hatte es in jedem Stockwerk zwei große Fenster, aber
zur Stadt hin war eine kahle, glatte Brandmauer zu sehen, so, als wenn das Haus
mitten in eine dicht bebaute Straße hineingehörte.
    Als Ruth dieses düstere graue
Gebäude vor sich auftauchen sah, wurden ihre Schritte unwillkürlich langsamer.
Sie überlegte, ob es nicht eine Möglichkeit gab, es in weitem Bogen zu umgehen.
Aber würde sie auf einem Umweg die Gärtnerei erreichen? Überall hier draußen
gab es Hecken und Gräben, Bretter- und Stacheldrahtzäune. Nein, es war doch
besser, auf der Straße zu bleiben und, ohne links und rechts zu sehen,
geradeaus zu marschieren.
    Sie tat es. Aber schon nach
zwei Schritten blieb sie wie angewurzelt stehen. Sie hatte das wütende Blaffen
eines Hundes gehört.
    Ruth wußte, was für ein Hund
das war, sie kannte diesen unnachsichtigen Wächter nur zu gut. Es war ein
riesengroßer Schäferhund, und seit sie das erste Mal von der Hand ihrer Mutter
an ihm vorbeigezogen worden war, war sie überzeugt, daß dieser Hund es ganz
speziell auf sie abgesehen hätte.
    „Reg dich nicht auf, Liebling“,
hatte ihre Mutter gesagt, „er kann dir nichts tun, er ist ja eingesperrt!“
    Aber sie hatte die Augen
geschlossen und sich die Ohren zugehalten und doch vor lauter Angst gezittert
und geschluchzt.
    Hatte sie denn nicht mehr daran
gedacht, als sie sich gestern freiwillig erboten hatte, ganz allein zur
Gärtnerei zu gehen? Doch, aber sie hatte es sich nicht so schlimm vorgestellt
und hatte auch gehofft, daß der große Hund inzwischen verschwunden sein würde,
denn immerhin war es ein halbes Jahr her, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte.
    Aber er war noch da. Er tobte
und knurrte, und nur mit größter Selbstüberwindung brachte es Ruth fertig,
einen Fuß vor den anderen zu setzen.
    Noch konnte sie den Hund nicht
sehen und auch er sie nicht. Er schien zu glauben, daß sie sich zum Rückweg
entschlossen hätte, denn er blaffte nur noch ein paarmal, aber gar nicht mehr
so laut, und dann war er still.
    Ganz, ganz vorsichtig schlich
Ruth sich weiter, während ihr das Herz bis zum Halse klopfte.
    Dann hatte sie die Ecke
erreicht. Noch ein Schritt, und sie stand dem Schäferhund gegenüber.
    Er hatte auf dem Hof des grauen
Hauses neben seiner Hütte gelegen. Jetzt, als sie vor ihm auftauchte, tat er
einen Riesensatz und sprang gegen das hohe Gitter. Er bellte dabei aus vollem
Halse, die rote Zunge hing ihm weit aus dem Maul, von seinen Lefzen tropfte der
Geifer, und Ruth sah seine scharfen, spitzen Zähne blinken.
    Sie schrie auf.
    Aber ihr Schrei ging unter im
wütenden Blaffen des Hundes, der Nieder und wieder gegen das Gitter sprang.
    Mit Ruths Beherrschung war es
vorbei. Sie drehte sich auf dem Absatz um und rannte davon, als wenn der Teufel
selber hinter ihr her wäre. Sie glaubte wirklich, daß es dem großen Hund
gelingen würde, das Gitter zu sprengen.

    Vielleicht wäre sie in einem
rasanten Spurt bis zur Stadt zurückgerannt, wenn sie nicht, kurz vor der
Schrebergartenkolonie, über einen Stein gestolpert und der Länge nach
hingeschlagen wäre. Da lag sie nun in ihrem schönen maigrünen Kostüm und
schluchzte so laut, daß sie das Bellen des Hundes gar nicht mehr hören konnte.
    Dann hielt sie plötzlich den
Atem an. Vielleicht war er ja schon ganz nahe.
    Aber gar nichts war zu hören.
    Ganz vorsichtig blickte sie
über die Schulter zurück; kein Hund war weit und breit zu sehen.
    Mühsam richtete sie sich auf.
Ihre Knie waren verschrammt, und an ihrem Kostüm
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