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Nur Gutes

Titel: Nur Gutes
Autoren: Erwin Koch
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die freie Republik eingesetzt worden. Sulla ließ sich, nachdem er die Herrschaft der Römer in der Provinz Asia zurückerobert hatte, 82 v.Chr. zum Diktator ernennen. Hart griff er gegen alle Gegner durch. Ihre Namen wurden auf Tafeln, sogenannten Proskriptionslisten, bekanntgegeben. Jeder konnte sie töten, ohne bestraft zu werden.
    So absehbar war Francks Gerede und also das Urteil des Lehrers, dass ich die Seite hundertvier auf Vorrat abschrieb und sie Franck von Fall zu Fall schenkte, damit er aufhörte, mich beim Völkerball als Ersten aus dem Spiel zu schießen.
    Ich fror, ich fröstelte und überlegte, ob es klug sei, meine Temperatur zu messen. Mir fiel ein, dass ich keinen Fiebermesser hatte, Fiebermesser, als wir noch beisammen waren, hatten wir nur einen gehabt, und der war jetzt bei ihnen, Anna und den Kindern.
    Ich dachte, es sei klüger, eine Kerze anzuzünden.

10 Gift
    Mama ahnte mich und schwieg, Mama wusste, sie war schwanger.
    Im weißen Opel Kadett fuhr man zurück an die Grenze zur Schweiz, Dagmar war fünfundzwanzig, Albert drei Jahre älter, sie Lehrerin, Grundstufe eins, er Student der Theologie im achten Semester, verliebt und schwerelos. In Luino, Pensione Paradiso, gab man sich als Ehepaar Mangold aus, Dagmar und Albert trugen ihr Gepäck ins Zimmer, Albert setzte sich aufs Bett, er sagte: Gute Matratze hier, besser als in Manarola.
    Das musst du mir zuerst beweisen, sagte Dagmar. Danach ging man über den berühmten Wochenmarkt. Ein Mann verkaufte Aquarelle, man blieb stehen, Hand in Hand, und besah sich die Malerei.
    Das hier sei schön, sagte Dagmar und zeigte auf ein kleines Bild, schlanke Bäume darauf, eine frohe Landschaft, im Hintergrund, nur angedeutet, ein Dorf, alles in Rot, Gelb, Braun.
    Albert schwieg.
    Das schenke sie ihm, sagte Dagmar und kaufte das Bild.
    Albert schwieg.
    Noch lebten sie nicht zusammen.
    Albert wohnte im Studentenheim am Torbachbogen,Dagmar bei einer Freundin in einem alten schiefen Haus aus Holz, seine Böden bebten bei jedem Schritt.
    Das Marmeladeglas, gefüllt mit ihrem Urin, darin der schmale Streifen, der ihre Schwangerschaft beweisen würde, stellte Dagmar auf einen Karton, den Karton, gehalten an vier Schnüren, hängte sie in der Küche unter die Lampe, waagrecht, denn die Zuverlässigkeit des Tests, las Dagmar auf dem Beipackzettel, sei nur gegeben, wenn das Gefäß, und damit der Urin, ruhig und waagrecht stehe. Dagmar, fünfundzwanzig, saß am Küchentisch und wartete, die Finger verschränkt, als wolle sie beten, sie stand auf, ging leise und langsam zur Kommode, zündete eine Kerze an und wartete, setzte sich unter die Lampe, sah hoch zu ihrem Saft, zum Streifen, der sich langsam verfärbte, blau.
    Albert war nicht zu Hause, als sie anrief.
    Man heiratete heimlich und schnell, mietete eine Wohnung an der Breiten Allee. Das Bild aus Luino hing zuerst im Flur, später, am Sprenzelweg, im Schlafzimmer, an der Noackgasse wieder im Flur, schließlich in der Küche neben dem Kühlschrank, Grundstraße neun, seit zweiundzwanzig Jahren.
    Ob man dieses Bild, fragte Albert eines Tages, nicht vielleicht endlich durch ein anderes ersetzen könnte.
    Ob es ihm nicht mehr gefalle, fragte Dagmar, ob Albert sich nicht erinnere, wann und wo sie es gekauft hätten, in Luino am Lago Maggiore, als sie bereits ahnte, dass sie schwanger war mit Simon.
    Das sei nun nicht die Frage, sagte Albert, vielmehrsei es doch so, dass man sich an alles gewöhne, auch an Schönes und Wertvolles, Gewöhnung gleich Abregung gleich Siechtum gleich Sterben, und diesem Mechanismus könne man sich entziehen, indem man, was schön, wertvoll, aufregend sei, dosiere, verhülle oder weglege.
    Bitte, sagte Dagmar, dann häng das Bild woanders auf, wenn es dir nicht mehr gefällt.
    Dagmar weiß nicht, was schön oder hässlich ist, dachte Albert. Sie hält für schön, was unter schönen Umständen in ihr Leben tritt, sie hält für hässlich, was ihr hässlich begegnet. Noch heute steht auf ihrem Nachttisch ein Engel aus Wolle, Draht und Papier, eine gelb gewordene, ranzige Bastelei, die Simon ihr schenkte, als er zehn Jahre alt war, zurück vom Kongress der Gehörspezialisten, zurück vom Ausland, vor dem er sich so sehr gefürchtet hatte. Von Simons Kinderei, dachte Albert, wird Dagmar sich nie trennen.

    Dagmar drückte sich aus dem Sofa, zog die samtene Weste straff, sie ging zum Herd, stand zwischen Kühlschrank und Aquarell, schlanke Bäume in froher Landschaft, im Hintergrund ein
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