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Nur ein Blick von dir

Nur ein Blick von dir

Titel: Nur ein Blick von dir
Autoren: Anne Wall
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anderen im Bett. Sie hätte heulen können.
    Das ist nur der Stress. Du bist überarbeitet, versuchte sie sich selbst zu beruhigen. Sobald die anderen wieder da sind, wird es besser. Dann mache ich Urlaub.
    Endlich waren zumindest zwei der Erkrankten wieder da, und sie konnte einmal wieder pünktlich nach Hause gehen.
    Sie ließ sich zu Hause aufs Sofa fallen und legte die Beine hoch. Was für eine Woche. Als ob alle Kunden sich verschworen hätten, ausgerechnet jetzt eine Versicherung abschließen zu wollen, wo alle krank waren. Sie hätte sich vierteilen können, und es hätte nicht gereicht.
    Sie musste an die frische Luft. Die ganze Woche hatte sie nur drin gehockt, und wenn sie nach Hause kam, war sie todmüde ins Bett gefallen. Sie hatte es kaum geschafft zu duschen.
    Jetzt fühlte sie sich müde, aber gleichzeitig unruhig. Was war das nur? Schließlich fiel es ihr ein: Heute war Mittwoch. Die Verabredung mit Marina.
    Verabredung. Eine Verabredung war es nicht, aber immerhin wäre sie dann nicht allein beim Walken, um frische Luft zu schnappen.
    Sie erhob sich vom Sofa. Wenn sie noch eine Minute länger wartete, würde sie keine Lust mehr haben rauszugehen. Sie fühlte sich immer lascher.
    Sie zog sich um, schnappte sich ihre Stöcke und machte sich auf den Weg.
    Nur noch eine Ampel. Dann war sie am Ziel. Doch plötzlich verspürte sie eine Aufregung, die ihr völlig unverständlich war. So als hätte sie ein Date. Dabei hatte sie gar kein Date, sondern wollte sich nur mit Marina zum Walken treffen, also Sport treiben. Bei diesem Gedanken spürte sie Hitze in sich aufsteigen. Oh mein Gott, dachte sie. Was ist denn mit mir los? Bei Sport und Marina wird mir ganz heiß?
    Sie fuhr den Wagen kurz an den Straßenrand und atmete mehrfach tief durch, um sich zu beruhigen. Langsam fuhr sie wieder an und bog kurz darauf in den Parkplatz ein. Sie sah Marina, schon mit ihren Stöcken bewaffnet, dort stehen. Ein Lächeln glitt über Marinas Gesicht.
    Silke fuhr neben Marinas Wohnmobil und stellte den Motor ab. Sie blieb hinter dem Steuer sitzen.
    »He.« Es klopfte an die Scheibe, und Marinas lachendes Gesicht erschien. »Schön, dass du doch noch gekommen bist. Willst du nicht aussteigen?«
    Silke hatte ganz entschieden das Gefühl, dass sie das nicht wollte, aber sie tat es trotzdem. »Ich hatte eine furchtbar stressige Woche«, sagte sie. »Ich wollte nur ein bisschen Luft schnappen.«
    »Geht mir genauso«, nickte Marina. »Frische Luft, um die Energie mal wieder ein bisschen aufzutanken.«
    »Dann veranstalten wir heute kein Rennen?«, fragte Silke.
    Marina lachte. »Wenn du nicht wegläufst . . .«
    »Dazu habe ich gar keine Kraft mehr«, seufzte Silke. »Ich sehe nur noch Kunden vor mir, die auf mich einreden und irgendetwas von mir wollen.«
    »Du Arme.« Marina betrachtete sie mit einem mitfühlenden Blick.
    Ein Blick, den Silke ihr gar nicht zugetraut hätte. Er ließ Marinas Augen in einem warmen Licht erstrahlen, so als ob dahinter eine Kerze aufgestellt wäre, die den Weg nach Hause wies.
    »Jammern nützt nichts.« Entschlossen zog Silke die Schlaufen an den Griffen der Walkingstöcke zu. »Ich will das jetzt alles nur vergessen.«
    »Na dann los«, forderte Marina sie auf und gab mit ihren langen Schritten das Tempo vor.
    Schnell hatten sie einen Rhythmus gefunden, bei dem sie walken und sich gleichzeitig noch unterhalten konnten.
    »Deine Kinder waren also auch stressig diese Woche?«, fragte Silke.
    Marina atmete tief durch. »Die Kinder sind nicht das Problem, sondern die Eltern – wenn sie überhaupt welche haben.«
    »Schlimm.« Silke schwieg einen Moment. »Und was kannst du da tun?«
    »Weißt du, was Verwahrlosung bedeutet?« Marina warf ihr kurz einen Blick zu. »Was das für ein Kind bedeutet?«
    »Nicht so richtig«, sagte Silke.
    »Es bedeutet, dass ein Kind aufwächst wie ein wildes Tier. Nein, schlimmer als das: Tiere kümmern sich um ihren Nachwuchs.« Marinas Stimme bekam einen wütenden Klang. »Ich könnte immer nur dreinschlagen, wenn ich diese Zustände sehe. Saufende Väter, wenn es überhaupt einen Vater gibt, Mütter, die ihre Kinder schlagen oder für ihre Zwecke missbrauchen, in der einen Hand die Bierflasche und in der anderen die Zigarette, Dreck überall.«
    »Furchtbar«, sagte Silke.
    »Ja, furchtbar. Und es sind so viele.« Marina atmete tief durch. »Und dann kommen sie in die Schule, wissen kaum, wie sie sich benehmen sollen, haben Lernschwierigkeiten, weil sie sich
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