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Nummer Drei: Thriller (German Edition)

Nummer Drei: Thriller (German Edition)

Titel: Nummer Drei: Thriller (German Edition)
Autoren: Nicholas Lake
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stand einer der Türme in Flammen. Nun wurde es wirklich still ringsum. Ein Sprecher im Fernsehen berichtete über ein Flugzeug, das den Turm gerammt habe, was ich verrückt fand – und das war ironisch, wenn man bedachte, wo wir uns aufhielten. Es war, als sei der Ansager im Fernsehen viel verrückter als alle Zuschauer in diesem Raum. Zugleich dämmerte mir aber, dass sich ein schreckliches Unglück ereignet hatte.
    Während wir zusahen, raste das zweite Flugzeug in den anderen Turm und explodierte. Die Patienten kreischten, und sogar ich – obwohl erst zehn – begriff, wie absurd es war, wenn man etwas so Verrücktes in einer Klinik voller gestörter Menschen und Drogenabhängiger beobachtete. Plötzlich kam Mom auf den Gedanken, dies sei ziemlich verstörend für ein kleines Mädchen, auch wenn ich die ganze Angelegenheit eher verwirrend als beängstigend fand. Sie nahm mich an der Hand und führte mich in ihr Zimmer. Ich sollte aber nicht mehr für sie Geige spielen.
    Im Rückblick glaube ich, dies war wohl das letzte Mal, dass ich meine Mom wirklich gesehen habe. Nach 9 / 11 war sie nicht mehr die Alte. Inzwischen vermute ich, dass diese Katastrophe zu viel für sie war. Als sie in die Klinik gegangen war, die sich vor allem um Psychiatriepatienten kümmerte, war die Welt da draußen noch weitgehend normal gewesen. Die Russen und die Amerikaner hatten endlich aufgehört, einander mit Atomschlägen zu drohen, der Westen war sicher und reich, alles war in Ordnung. Auf einmal aber hatte sich die äußere Welt auf beängstigende Weise verändert, und irgendwelche Menschen, die nichts von Sicherheit, Autos und Hypotheken hielten, wollten einfach nur töten.
    Aber vielleicht stimmt das gar nicht. Vielleicht war Mom das letzte Mal sie selbst, als sie damals die Klinik verließ und ich aus der Schule nach Hause kam und feststellte, dass sie mein Zimmer mit diesen Sternchen dekoriert hatte, die glühen, wenn man das Licht ausschaltet. Sie hatte es nicht so gemacht wie die meisten anderen, die ein paar davon unter die Decke kleben. Nein, es waren Hunderte, wenn nicht Tausende. Sie waren überall, auf jeder freien Fläche, denn ich sollte, wie sie es ausdrückte, nie vergessen, dass es Magie in der Welt gibt. Meine Mom hat oft solche übertriebenen Sachen gemacht. Mein Schlafzimmer in London hat sie genauso geschmückt.
    Seitdem ist mein Zimmer, wenn ich das Licht ausschalte, wie ein Märchenland oder wie ein Observatorium, in dem ich das ganze Universum beobachten kann. Als es Mom noch gut ging, habe ich mich oft darüber gefreut.
    Dann wurde sie wieder krank, alles war schrecklich, und die Sterne konnten mich nicht mehr trösten, weil ich mich wie im Gefängnis fühlte. In einem glühenden Gefängnis, das mich festhielt und daran erinnerte, dass Mom immer um mich herum war – das Größte überhaupt in meiner Welt –, dass sie aber nicht immer bei mir sein konnte.
    So war Mom oft. Sie schenkte mir etwas Erstaunliches. Die Sterne, das Universum.
    Aber irgendwann nahm sie es mir wieder weg.

4 Vor unserer Reise war mir nie bewusst gewesen, wie lange eine Jacht brauchte, um eine bestimmte Strecke zurückzulegen. Von Southampton bis zum Suezkanal dauerte es anderthalb Monate. Sechs Wochen! In dieser Zeit konnte man dreißigmal um die Welt fliegen.
    Die Strecke vom Ärmelkanal bis Gibraltar war schlimm. Die See war unruhig und rau, in der ersten Woche krümmte ich mich in meinem Bad und freundete mich mit der Toilette an. Es gab Augenblicke, da hätte ich mit Freuden meinen Dad erwürgt, weil er mir das angetan hatte.
    Im Mittelmeer war es etwas besser. Manchmal war im Süden Marokko als dunstige Sandwüste zu erkennen, gelegentlich tauchten an den Hängen kleine Fischerdörfer mit gekalkten Häusern auf.
    Wie Urlaub fühlte es sich allerdings nicht an. Die meiste Zeit waren wir weit von der Küste entfernt und krochen durch das Wasser. Es gab keine Orientierungspunkte, an denen sich ablesen ließ, dass wir überhaupt vorankamen. Es war wie ein unendliches Förderband aus Wasser und Schaum, das unter uns abspulte.
    Ich hatte gehofft, Delfine zu sehen, aber es gab keine.
    Die Zeit verzerrte und dehnte sich wie Knetgummi. Es war schon August, wir hatten um die dreißig Grad, ich hatte die Seekrankheit überwunden und lag meistens mit geschlossenen Augen auf dem Deck. Wenn die Sonne unterging, verzog ich mich nach unten, las in meinem Zimmer, sah fern oder verschickte E-Mails. Die Jacht hatte keine ständige
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