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Nullzeit

Nullzeit

Titel: Nullzeit
Autoren: Colin Forbes
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die Fingerabdrücke zu erhalten. Es war eine Bayard 9 Millimeter mit kurzem Lauf aus der kleinen belgischen Waffenfabrik in Hertal. Sie war zwar klein genug, um in eine Handtasche zu passen, aber alles andere als eine Damenwaffe. Aus kürzester Entfernung abgefeuert - und das wäre hier der Fall gewesen -, wäre das Ergebnis fatal gewesen. Daran zweifelte Grelle keinen Augenblick. Wenige Minuten später kam sein Stellvertreter, Generaldirektor André Boisseau von der Police Judiciaire, in einem Polizeiwagen mit heulenden Sirenen in der inzwischen abgeriegelten Straße an.
     »Mein Gott, ist es wahr?«...
    »Ja, es ist wahr«, bellte Grelle.
    »Sein Beinahe-Mörder, eine Frau, wird gerade in den Krankenwagen dort drüben getragen. Florian ist unverletzt - zurück im Elysée. Von jetzt an wird alles anders sein. Wir werden ihn vierundzwanzig Stunden am Tag unter strengster Bewachung halten. Er muß bewacht werden, wohin er auch geht - ich werde ihn morgen früh aufsuchen, um seine Zustimmung zu bekommen …«
    »Und wenn er nicht zustimmt?«
    »Wird er meinen sofortigen Rücktritt erhalten …«
    Unterdessen war die Presse angekommen. Die Reporter versuchten, sich mit Gewalt einen Weg durch das Gewimmel von Gendarmen zu bahnen, und einer der Zeitungsleute rief dem Präfekten etwas zu.
    »Die Hyänen sind da«, murmelte Grelle mit zusammengebissenen Zähnen, aber es war wichtig, sie sofort aufzuklären. Sie hatten gerade noch Zeit, ihre Berichte für die Titelseiten der morgigen Ausgaben einzureichen. Er gab Anweisung, sie durchzulassen. Sie umringten den schlanken, athletischen Mann, der von allen Anwesenden der ruhigste war. Es war natürlich der Reporter der L’Humanité - ›dieses kommunistische Dreckblatt‹ nannte der Präfekt diese Zeitung -, der die Frage stellte: »Sie sagen, der Attentäter sei eine Frau gewesen? Hat der Präsident sie gekannt?«
    Die Anspielung war grob und mehr als deutlich angesichts der Gerüchte über Florians gespannte Beziehungen zu seiner Frau und über seine Affären mit anderen Frauen. L’Humanité witterte einen pikanten Skandal von internationalen Ausmaßen. Grelle, der Politiker verabscheute, verstand etwas von Politik. Er schwieg kurz, um die Aufmerksamkeit aller auf sich zu ziehen, um eine Spannung zu erzeugen, die er lösen konnte.
    »Der Präsident hat diese Frau nicht gekannt. Er hatte sie noch nie gesehen. Er hat mir das gesagt, als ich ihn in den Elysée-Palast zurückdrängte …«
    »Er hat sie also deutlich gesehen?« insistierte der Reporter.
    »Der Zufall wollte es, daß er sie direkt ansah, als sie die Waffe auf ihn richtete …«
    Kurz nach diesem Wortwechsel brachte er die Journalisten zum Schweigen und ließ sie die Straße hinunter hinter den Sicherheitskordon zurückschicken. Er wußte, daß sie bald ihre Redaktionen anrufen mußten. Der Krankenwagen war weggefahren. Polizeifotografen machten Aufnahmen von dem Abschnitt des Bürgersteigs, in dem es passiert war. Grelle ließ einen hohen Polizeioffizier zurück, um die Formalitäten zu Ende zu führen, und bestieg den Wagen seines Stellvertreters Boisseau, der sie zur Präfektur auf der Ile de la Cité zurückfuhr.
    Auf dem Weg dorthin untersuchte der Präfekt die Handtasche der toten Frau, die er in die Tasche seines Regenmantels gesteckt hatte. Der übliche Inhalt: Lippenstift, Kompaktpuder, ein Schlüsselring, Kamm, einhundertsiebenundfünfzig Franc in Scheinen und Münzen sowie ein Personalausweis. Die Frau, die versucht hatte, den Präsidenten von Frankreich zu töten, nannte sich Lucie Devaud. Zu dieser Zeit maß Grelle diesem Namen keinerlei Bedeutung bei. Er sah auch nichts Bezeichnendes darin, daß sie im Departement Lozère geboren war.
     In bestimmten Augenblicken der Geschichte ist es ein einziger Vorfall, der eine ganze Reihe weiterer Ereignisse auslöst, was auf verschiedenen Kontinenten Räder zum Rollen bringt, die sich immer schneller und schneller drehen. Lucie Devauds Versuch, Guy Florian zu töten, war so ein Zwischenfall. Er ereignete sich in einem kritischen Moment der europäischen Geschichte.
     Die Welt war gerade dabei, sich von der unheilvollen Weltwirtschaftskrise zu erholen, die 1974 eingesetzt hatte. Überall herrschten wieder Hoffnung und Optimismus. Die Luftverkehrsgesellschaften verfrachteten eine ständig wachsende Zahl von Touristen an weit entfernte und exotische Ferienorte; die Aktienbörsen der Welt zeigten eine stetig steigende Tendenz - der Dow-Jones-Index hatte gerade
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