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Nova

Nova

Titel: Nova
Autoren: Wolfram Kober
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vorhandene Unpäßlichkeit. Aus Bequemlichkeit, obwohl er sich lieber die Zunge abgebissen hätte, als das zuzugeben. Und die Angst, sich vor den anderen zu blamieren. Er war nicht mehr der Jüngste mit achtunddreißig Jahren, hatte Speck angesetzt, sich eine behäbige Haltung zugelegt und die Behauptung, Anstrengung schade seinem Herzen.
Er erinnerte sich, wie oft er andere Einladungen ausgeschlagen hatte. Keine Lust. Eines Tages war niemand mehr gekommen, ihn einzuladen – oder auf einen Schwatz. Es hatte ihn verletzt. Sie ließen ihn in seiner selbstgebastelten Isolation zurück.
Vorbei, dachte er resignierend, tote Jahre, umsonst gelebt – oder ob man noch einmal von vorn beginnen könnte? Wieder Reisen, Theater, Kulturcenter… Urlaub auf dem Mars, auch wenn das reichlich kostspielig war. Nicht mehr jeden Abend Videotronik… etwas anderes… Nun starrte er immer öfter nach oben, ins Blätterdach.
Wo blieben nur die Sucheinheiten?
Doch alles, was er feststellen konnte, war, daß die Sonne den Zenit erklommen hatte und den Dschungel unbarmherzig aufheizte. Die Hitze hätte er vielleicht noch ertragen, die ungewohnte Luftfeuchtigkeit aber setzte ihm zu.
Er begann die Idee, dem Zuhause für ein paar freie Stunden zu entfliehen, zu verfluchen.
Wäre er daheim geblieben, er könnte jetzt am See sitzen, neben sich die schwebende Rechnereinheit, die er für den Forschungsauftrag vom Myonikinstitut benötigte. Oder er wäre in Bogotá, im Institut, im klimaregulierten Labor. Er könnte den Servrob auf seinem Gravitationsfeld rufen und ihm Getränke entnehmen, eiskalt, durststillend.
Bei diesem Gedanken fühlte Bizell den dicken, klebrigen Klumpen in seinem Mund, der seine Zunge war und am Gaumen haftete wie zähes Gelee.
Er mochte schlucken, wie er wollte – es bildete sich kein Speichel mehr.
Und während er sich durch das Dickicht zwängte, in der Hoffnung auf baldige Erlösung von den Qualen oder doch wenigstens auf eine Lichtung, auf der er ruhig warten konnte, verwandelte sich diese Hoffnung von einem Moment zum anderen in sinnlose Wut.
Er trampelte, seine Schwäche verachtend, auf dem modrigen Strunk einer Schlingpflanze herum, versuchte, das weiche, biegsame Geäst eines Sarzals auseinanderzufetzen.
Er holte sich blutige Schrammen an Händen und Unterarmen, denn die scharfen Dornen des Strauchs drangen durch das Dreßgewebe. Es juckte vor Dreck und den salzigen Ausdünstungen seines Körpers, begann zu brennen.
Bizell beleckte die Kratzer wie ein verwundetes Tier, spürte den Geschmack des Blutes auf der Zunge, zu seiner Verwunderung ohne Ekel, aber es brachte keine Linderung.
Warum hockte er sich nicht einfach hin und wartete?
Zögernd schwankte er einen Augenblick.
Nein, schwor er sich dann. Sein Ziel war der Amazonas. Ob er ihn erreichte oder nicht, er würde auf ihn zumarschieren, solange er vermochte.
Sein ganzes Leben war er dem Ruf der Bequemlichkeit gefolgt. Heute, jetzt, würde er einmal nicht kapitulieren, würde beweisen, daß er auch anders konnte. Einmal wollte er nicht nachgeben, weder vor Janas aufdringlichem Geschwätz noch ihren Forderungen. Weder vor Candidos herrischem Charakter noch vor den Schwierigkeiten im Institut noch vor sich selbst zurückweichen.
Dieser Gedanke bohrte sich in ihn hinein, und er fühlte, wie ihm der Wunsch, der seinem männlichen Eitelkeitsgefühl schmeichelte, Kraft einflößte.
Wenn er nur etwas bei sich gehabt hätte, eine Uhr wenigstens, aber die Kombination hatte keine Taschen, in denen sich irgend etwas, und wenn es noch so klein gewesen wäre, hätte verbergen können.
Abgeschnitten von allen Gegenständen, die ihm die Zivilisation bedeuteten, kam sich Bizell trotz seines Mutes nackt vor; schutzlos der ihn angreifenden Natur ausgeliefert, verlassen.
Verzweifelt schlug er nach den Insekten, die ihn wie einen leckeren Fleischklumpen umschwärmten. Mittendrin winzige kleine Moscas, schwarze Teufelsfliegen, die schmerzhafte Blutblasen bissen. An seiner Kleidung blieben Spinnen hängen, herabfallende Zecken und Tausendfüßler, die sich nach Armen und Hals vortasteten und bald schwärende Wunden auf der Haut erzeugen würden.
Mit einem Mikrowellengenerator – meilenweit hätte er sie vertreiben können, diese Biester, verfluchte.
Einmal, wie lange lag das schon zurück, hatte er von Belo Horizonte aus an einem Studentenausflug teilgenommen. In die Pampas, die wie die Hyalea des Amazonasgebietes Naturschutzzone war. Ein Gebiet ohne genmanipulierte Fauna, ein
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