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Notizen aus Homs (German Edition)

Notizen aus Homs (German Edition)

Titel: Notizen aus Homs (German Edition)
Autoren: Jonathan Littell
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übernachten wird. Warten auf der Straße, während Raed mit der BBC spricht. Die frische Luft tut gut. Mein Husten ist allerdings stärker denn je zurückgekommen.
     
    Wir rufen Imad an. Baba Amr wird von zwölf T-72 bombardiert. Das Krankenhaus ist voll, vier Tote, fünfzehn Verletzte. Gestern waren acht Panzer dort, die FSA hat vier von ihnen zerstört; die Armee hat Verstärkung angefordert, heute hat die FSA noch einen zerstört. Die Bombardierung hat vorgestern angefangen. Alle Toten aus Baba Amr sind Zivilisten. Zwei von Scharfschützen getötet, der Rest durch die Bombardierungen. Der Angriff findet auf der Seite von Kfar Aaja statt, da, wo die Bahngleise sind. Auf der Seite von Dschobar ist alles ruhig. Imad sagt, dass man, wenn man sich auskennt, durchkommt. Man wird sehen.
     
    Wir rufen Hassan an. Er sagt, zwanzig Panzer seit gestern und sie seien völlig machtlos, sie haben nichts gegen sie ausrichten können.
    Draußen hat es heftig wieder angefangen, nach einer Ruhepause, zweifellos in Qussur. Marcel sitzt immer noch fest.
     
    *
     
    Gegen 17 Uhr gehe ich zu Fuß mit Abu Bakr, der eine Militärjacke über einer langen Kutte trägt und mit seinem roten Bart und den wütenden Augen immer mehr wie ein tschetschenischer Kämpfer aussieht, und Nadschah, einem jungen Aktivisten, raus, um Marcel abzuholen, dem es endlich gelungen ist, Qussur zu verlassen, und der sich in der Nähe der hölzernen Turmuhr von Khaldije befindet. Es sind Scharfschützen dort, und er ist beunruhigt. Wir überqueren im Laufschritt zwei Straßen, treffen auf einen seiner Freunde, dann auf ihn, seine Freunde bringen uns im Auto zurück, einem schönen, bequemen, schnellen schwarzen Geländewagen. Dann gehe ich ins Internetcafé. Abu Adnan ist da und surft auf seinem Samsung Tablet. Ich zeige ihm online die Seiten von Le Monde , und er ist recht zufrieden damit.
     
    19.30 Uhr. Rückkehr nach Hause. Neuigkeiten von der Front: Abu Annas, der Anführer der Freitagsdemonstration in Bab Drib, wurde von einer BTR-Granate schwer an der Brust verwundet. Einer seiner Freunde wurde getötet. Baba Amr ist ruhiger.
     
    Diskussion mit Marcel, der bei uns übernachten wird, über den religiösen Aspekt des Aufstands, auf den er sich konzentriert. Er hat mehrere Scheichs getroffen. Versucht die religiöse Dynamik zu beleuchten. Es ist sehr kompliziert, sie äußern sich sehr ausweichend. Austausch von Informationen und Erfahrungen.
     
    Qussur ist eigentlich ein ruhiges Viertel. Marcel hatte Pech. Die mukhabarat haben eine Operation zum Angriff auf eine FSA-Wohnung gestartet, die sie eingekreist und unter RPG- und Maschinengewehrbeschuss genommen haben. Zwei FSA-Soldaten wurden in der Wohnung getötet, einer davon war Abu Amar Masarani, der FSA-Kommandant von Qussur. Fünf andere sind geflüchtet und auf der Straße von Scharfschützen erschossen worden. Marcel, der nicht weit weg war, im 4. Stock eines Nachbargebäudes, hat versucht, vom Balkon aus zu filmen, aber von einem Dach haben Scharfschützen auf sie geschossen, und sein Freund Muhammad wäre beinahe getötet worden. Marcel saß acht Stunden lang in der Wohnung fest, bis die Sicherheitskräfte sich zurückzogen.
     
    Marcel erzählt von den Beduinen, die eine starke Tradition der Blutrache haben und in den alawitischen Vierteln kidnappen und töten. »Sie sind völlig außer Kontrolle«, hat ihm ein Mann erklärt, ein Revolutionär, den diese Entgleisungen erschütterten.
     
    Abu Bakr erzählt: Drei Beduinenfrauen wurden in Bajada (es gibt viele Beduinen in Bajada) von schabbiha gekidnappt, eine vierzigjährige Mutter und ihre beiden 16 und 12 Jahre alten Töchter. Die drei wurden vergewaltigt und dann, nach einem Monat, ließ man sie laufen. Gefangen gehalten in einem alawitischen Viertel, nicht im Gefängnis, in der Nähe von Sabil, sagen sie. Die Familie wollte Anzeige erstatten, aber das ist natürlich unmöglich; und selbst wenn der Staat funktionieren würde, die Beduinen würden trotzdem Rache üben. Also haben die Verwandten der Frauen Männer aus der Zone entführt, in der die Frauen gefangen gehalten worden waren, und haben deren Familien aufgefordert, ihnen die Vergewaltiger auszuliefern, sonst würden sie die Gefangenen mit dem Tod bestrafen. Als die Vergewaltiger nicht ausgeliefert wurden, haben sie die Gefangenen getötet. »So hat die fitna angefangen«, schließt Abu Bakr. Er fügt hinzu, dass er sich nicht auf diese Weise rächen würde, wenn ihm so etwas zustieße.
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