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Notizen aus Homs (German Edition)

Notizen aus Homs (German Edition)

Titel: Notizen aus Homs (German Edition)
Autoren: Jonathan Littell
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mit dem Bösen? »Gott hat Eigenschaften.« Er nennt einige, darunter den Willen. Gott hat einen Willen, und die Antwort auf meine Frage hat mit dieser Eigenschaft zu tun. Gott spricht, aber ohne Worte und ohne Sprache. »Aus seinem Willen wollte er das Gute und das Böse erschaffen. Und er hat das Gute befördert und das Laster verboten. Er hat auch den freien Willen gewollt.«
    Einwand von Raed: »Aber warum sollte er das Böse wollen?« Kalaschnikowsalven untermalen die Diskussion. Die Straßensperre will den Leuten Angst machen und die FSA entmutigen, irgendwelche Versuche zu unternehmen. Das Gespräch geht noch weiter, aber Abu Brahim kommt immer wieder auf die gleichen Argumente zurück, die im Prinzip ein Glaubensbekenntnis sind: »Es ist so, weil es so ist.« Schwierig für mich, mich damit zufriedenzugeben, insbesondere wenn ein toter Junge auf den Fliesen liegt.

 
    Montag, 30. Januar
    Bajada – Khaldije
     
     
    Frühes Aufwachen, um Ibn Pedro wegen meiner Abreise anzurufen. Gegen 9.30 Uhr erreichen wir ihn endlich. Er bleibt vage, ausweichend. »Ja, vielleicht, vielleicht fahre ich heute los, ich weiß es nicht, ich rufe euch zurück.«
     
    Etwas später ruft mich Marcel, der deutsche Journalist, an. Er sitzt in Qussur fest, die mukhabarat und die Armee kämpfen in seiner Straße mit der FSA, auf seine Wohnung fallen Schüsse. In Baba Amr Panzerbeschuss.
     
    Der Leichnam von Taha, dem Kleinen von gestern, wurde ins staatliche Krankenhaus überführt. Um ihn abholen zu können, muss der Vater Papiere unterzeichnen, auf denen steht, dass er von einem Terroristen getötet wurde.
     
    Zwei ganz in Schwarz gekleidete Frauen kommen zu uns. Ihr Haus wurde angezündet, und sie wollen eine Zeugenaussage machen. Sie wohnen im Viertel Sabil. Die Ältere erstickt fast vor Aufregung, während sie erzählt. Da, wo sie leben, sind sie auf einer Seite von Alawiten, auf der anderen von Schiiten umgeben. Gegen 2 Uhr nachts sind Männer gekommen und haben auf das Haus geschossen, dann haben sie eine Granate gegen die Tür geworfen und danach einen Benzinkanister, auf den sie geschossen und so das Haus in Brand gesteckt haben. Die Hälfte des Hauses brannte ab, bevor sie das Feuer löschen konnten. Sie haben die Männer nicht gesehen, aber sie schrien: »Wir werden euch von hier vertreiben, euch Sunniten!« Denken, dass es von der Sicherheit unterstützte Alawiten waren. Das Haus ihrer Nachbarn wurde auch angegriffen. Es gab sieben sunnitische Familien in der Straße, alle sind weggezogen, bis auf diese beiden. Sie wohnten seit 17 Jahren dort. Abu Brahim wird ihnen eine Wohnung im Viertel suchen.
     
    Abu Bakr, der Aktivistenkumpel von Raed, ist hier. Er hat heute Morgen einen Toten gewaschen und ist gekommen, um zu duschen.
     
    *
     
    Mittag. Ich habe mich mehrmals telefonisch mit Marcel ausgetauscht. Er sitzt immer noch fest, die Schüsse hören nicht auf. Ein Mann, der bei ihm war, hat die Wohnung verlassen und ist getötet worden. Man kann nichts machen. Aber Abu Brahim glaubt nicht, dass die Sicherheit in die Gebäude reingehen wird. Zu große Angst vor dem Widerstand der FSA.
     
    Wir erwägen unsere Optionen. Ibn Pedro verspricht, dass wir morgen abreisen. Ich mache mich dafür stark, dass wir nach Khaldije fahren, damit wir wenigstens schon mal das Hindernis der Scharfschützen überwunden haben, jetzt, wo sie relativ ruhig sind. Unmöglich, von Khaldije nach Safsafi zu gelangen, Zusammenstöße zwischen den beiden Lagern in Warscheh. Aber laut Abu Brahim ist Khaldije noch erreichbar. Er sucht uns eine Wohnung mit Strom und Netz.
     
    *
     
    13 Uhr. Anruf von Abu Bilal. Eine zweite Familie massakriert. Es ist am selben Tag passiert wie das andere Massaker, am Donnerstag, dem 26., aber sie konnten erst heute zu den Leichen gelangen. Sie wurden in die Klinik von Karm az-Zaitun gebracht. Es sind der Vater, die Mutter und vier Kinder, zumindest teilweise wurde ihnen die Kehle durchgeschnitten. Wir brechen auf.
     
    14 Uhr. Fahrt ohne Probleme bis nach Khaldije. Abu Omar bringt uns in einem Suzuki-Kleintransporter hin. In den Straßen, über die wir gekommen sind, wird geschossen, deshalb fahren wir hinten herum, über die große »Todesstraße«. Keine Schüsse, auch nicht auf der Kairo-Straße, Leute gehen zu Fuß hinüber. Unterwegs kommen wir direkt an einer Straßensperre vorbei, 20 Meter entfernt, aber diese hat mit der FSA eine Gefechtspause vereinbart.
    Wir treffen mit Abu Bakr zusammen, der mit uns
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