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Notbremse

Notbremse

Titel: Notbremse
Autoren: M Bomm
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würd’ ich sagen«, erklärte der Zeuge und sah Hilfe suchend zu dem Berliner. »So, wie der den Hang raufgerannt ist, muss der mächtig Kondition haben.«
    »Dat meen ick ooch«, bekräftigte Clemens Probost und konnte seinen Blick nicht von dem Toten abwenden.
    »Und wie hat er ausg’schaut?«, wollte der Zugchef wissen.
    Der bleiche Zeuge zuckte mit den Schultern. »Ich hab ihn nur von hinten gesehen. Aber sein Mantel, der müsste ziemlich zerrissen sein – bei dem vielen Gestrüpp.«
    »Sein Alter?« Der Zugchef ließ nicht locker. Sie rollten jetzt auf den Bahnhofsbereich zu. Das Tempo des ICE verlangsamte sich.
    »Dem Wegrennen nach nicht alt. 30 vielleicht, oder knapp 40, schätz ich. Aber das kommt auf die Kondition an.«
    Der Berliner schaltete sich wieder ein: »Der war schnell auf und davon.«
    »Haarfarbe oder sonstige Besonderheiten?«
    Wieder zuckte der Zeuge mit den Schultern. »Das ging alles sehr schnell. Hätt’ ich gewusst, dass der ein Mörder ist, hätt’ ich natürlich genauer hingeschaut.«
    Jetzt schaltete sich die Frau ein und sah auffordernd zu dem Berliner: »Aber Sie, Sie hätten ihn doch besser sehen müssen.«
    Der Zugführer stutzte. »Wieso denn er?«
    Die Angesprochene zögerte. »Der Herr und ich sind uns gerade im Gang begegnet, als der Zug scharf abgebremst hat – ja, und nachdem es uns nach vorn geschleudert hat und wir uns gegenseitig festhielten, sind wir zur nächsten Tür gegangen, um zu sehen, was geschehen war.«
    Der Berliner nickte. »Da ham wir ihn dann davonrennen sehen.«
    »Okay«, sagte der Zugführer, als der Zug auf Gleis 3 einfuhr, während auf Gleis 1, direkt vor dem Bahnhofsgebäude, ein Regionalzug stand. Dass hier ein ICE hielt, sorgte für gewisses Aufsehen. »Bleib’n S’ bitte hier, bis d’Polizei kommt«, entschied er und sah den beiden Männern und der Frau nacheinander in die Augen. Dann eilte er durch den Waggon, um von einer Sprechstelle aus die Passagiere zu informieren. »Werte Fahrgäste. Aufgrund einer technischen Störung hat unser ICE in Geislingen an der Steige einen außerplanmäßigen Halt. Über Ihre weiteren Anschlussverbindungen ab Stuttgart werde ich Sie rechtzeitig informieren«, bemühte er sich hochdeutsch zu sprechen, wobei sein bayrischer Akzent trotzdem unüberhörbar war. Der Zugchef hörte, wie im Waggon nebenan die Gespräche lauter wurden. Er vermied es deshalb, sich unter die Passagiere zu mischen, sondern verließ den Zug, nachdem die Türen kurz freigegeben worden waren, um auf dem Bahnsteig zum Erste-Klasse-Waggon zu gehen und dort wieder einzusteigen. Der Berliner und die beiden anderen Zeugen standen noch immer vor dem geschlossenen Abteil und versuchten, andere Passagiere davon abzuhalten, einen Blick ins Innere zu werfen.
    Schon heulten näher kommende Martinshörner. »Die werden nix mehr zu retten hab’n«, meinte der Zugchef. »Aber sicher ist sicher.« Die drei anderen nickten zustimmend. Augenblicke später fuhr der Rot-Kreuz-Rettungswagen seitlich des Bahnhofs bis zur Fußgängerunterführung vor. Der Zugchef sprang aus dem Waggon und gab zwei Rettungssanitätern per Handzeichen zu verstehen, wo sie gebraucht wurden. Sie unterquerten die Gleisanlage, rannten am Zug entlang nach hinten und waren in wenigen Sekunden bei dem leblosen Mann im Abteil. Doch es reichten wenige Handgriffe, um zu erkennen, dass jegliche Hilfe zu spät kam. Unterdessen näherten sich weitere Sirenen und ein Mann in weißer Kleidung und mit Metallkoffer spurtete nun ebenfalls zum hintersten Erste-Klasse-Waggon. Es war der Notarzt, der sofort bestätigte, was die Sanitäter befürchtet hatten. »Das war ein Schuss«, stellte er fest und deutete auf das Blut, das aus dem Jackett des Toten gesickert war. Auf dem Gang entlang der separaten Abteile drängten sich jetzt immer mehr Schaulustige. Der Notarzt drehte sich zum Zugchef, während draußen die Sirenen weiterer Einsatzfahrzeuge lauter wurden: »Der, der das getan hat, muss im Zug gewesen sein.«
    Der rundliche Berliner, der einen kleinen Aktenkoffer mit bunten Aufklebern bei sich trug, schluckte. Lara Waldinger und der andere Mann sahen sich irritiert an und beobachteten, wie die Schaulustigen mühsam auf Distanz gehalten wurden. Zugchef Huber pflichtete dem Notarzt bei: »Da ham’s recht.«

4
    9.28 Uhr. Die zahlreichen Einsatzfahrzeuge, die mit zuckenden Blaulichtern auf dem Bahnhofsvorplatz standen, hatten inzwischen großes Aufsehen verursacht. Streifenbeamte sperrten die
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