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Notbremse

Notbremse

Titel: Notbremse
Autoren: M Bomm
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befand. Über Bordtelefon verständigte er sich mit dem Lokführer. »Ich schau nach«, sagte er mit bayrischem Dialekt. Dann spurtete er los, was bei den Passagieren zu noch mehr Verwirrung führte.
    »Es wird doch kein Anschlag sein?«, rief ihm eine ältere Dame nach. Doch da war er schon durch die nächste pneumatisch öffnende Schiebetür verschwunden.
    Wagen 37 war die erste Klasse. Er eilte an den Sitzreihen vorbei, gelangte zu den wenigen separaten Abteilen und erreichte schließlich den hinteren Einstiegsbereich, wo in Fahrtrichtung rechts die Tür entriegelt war. Warme Waldluft schlug ihm entgegen. Die Wasserfontäne des Denkmals, die in ein seichtes Becken zurückfiel, plätscherte friedlich vor sich hin. Vögel zwitscherten.
    Der Zugchef, der außer Atem geraten war, blieb an der offenen Tür stehen und versuchte, die Umgebung in sich aufzunehmen. Dann stieg er auf das Schotterbett hinab und entfernte sich ein paar Meter von dem Zug, um diesen überblicken zu können. Doch da war nichts, was ihm verdächtig erschien. Er hatte sich gerade entschieden, wieder einzusteigen, um über Bordtelefon dem Lokführer die Anweisung zum Weiterfahren zu geben, als an der Tür ein rundlicher Mann auftauchte und zu ihm herausrief: »Da ist eener weg.«
    Drei weitere Personen tauchten im Einstiegsbereich auf.
    »Er ist den Wald rauf«, ergänzte eine junge Frau mit schulterlangen schwarzen Haaren.
    Der Zugchef stapfte auf dem geschotterten Untergrund zu der Wagentür.
    »Sie haben ihn gesehen?«, fragte er interessiert einen etwa 40-Jährigen, der einen deutlichen Berliner Akzent hatte.
    »Ja. Der ist da an der Mauer von diesem Denkmal in den Wald rein«, antwortete dieser. »Er hat’s ziemlich eilig jehabt.« Die anderen hinter ihm bekräftigten dies.
    »Hab’n S’ ihn erkannt?«, wollte der Zugchef wissen und gab sich betont gelassen.
    »Ich hab ihn nur von hinten jesehn. Aber er hat einen weiten Mantel getragen, einen hellen Sommermantel.«
    Der Zugchef hatte inzwischen wieder den Einstieg erreicht und kletterte in den Waggon zurück.
    »Aber persönlich kennt ihn niemand?«, vergewisserte er sich noch mal und sah in die Gesichter der Fahrgäste, die zum Einstiegsbereich geeilt waren, um an dem aufregenden Geschehen teilzuhaben. Niemand konnte konkrete Angaben machen. Auch die Frau mit den pechschwarzen Haaren nicht, die den kleinen Berliner um eine halbe Kopfgröße überragte.
    »Okay, dann fahr m’r wieder«, gab sich der Zugführer entschlossen und verriegelte die Tür. »Allerdings sollten mir einige von Ihnen noch ’n paar Angaben machen – als Zeug’n, wenn S’ verstehn, was ich mein.« Kaum hatte er dies gesagt, machten sich die meisten wieder davon. Zurück blieben nur der nahezu kahlköpfige Berliner, der sich als Erster bemerkbar gemacht hatte, und die schwarzhaarige Frau, deren Alter der Zugchef auf Mitte 30 schätzte. Er deutete den beiden mit einer Geste an, im Einstiegsbereich zu bleiben. Dann setzte er sich über Bordtelefon mit dem Lokführer in Verbindung: »Wir können weiterfahren«, sagte er und fügte hinzu: »Ich geb der Transportleitung Bescheid.« Augenblicke später hatte er die Verantwortlichen in Karlsruhe erreicht und meldete knapp: »ZF« – womit er Zugführer meinte – »ICE 612, Huber. Bei uns hat einer die Notbremse zog’n. Auf der Geislinger Steige. Etwa Kilometer 64, beim Knoll-Denkmal.« Er wartete ein paar Sekunden, bis der Angerufene die Daten notiert hatte. »Ja, Knoll-Denkmal«, wiederholte er dann, während der Zug inzwischen wieder Fahrt aufnahm. »Ich geh mal davon aus, dass der Passagier, der die Notbremse zog’n hot, hier aus dem Zug geflüchtet ist«, bemühte er sich, hochdeutsch zu reden. Sein Gesprächspartner stellte wieder eine Frage, worauf er den Hörer vom Ohr nahm und sich den beiden Zeugen zuwandte: »Sie ham ihn beide also g’sehn? Wie hat er denn ausg’schaut?«
    Der Rundliche zuckte mit den Schultern. »Ick hab ihn nur von hinten jesehn«, erklärte er mit Berliner Akzent. »Wat mir auffiel, war seen Mantel, so ein heller Mantel. Er trug ihn offen und ist im Gestrüpp hängen jeblieben.«
    »Ja, das stimmt.«
    »Und wo genau isser hin?«, hakte der Zugchef nach.
    »Den Berg rauf«, erklärte die Frau eifrig und deutete in Richtung des nun langsam vorbeiziehenden Hangs.
    Der Zugchef nahm wieder den Hörer ans Ohr und wiederholte diese Angaben. »Ich nehm an, Sie kennen das Gelände hier«, fügte er hinzu. »An der Geislinger Steige hat’s
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