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Nora Morgenroth: Die Gabe

Nora Morgenroth: Die Gabe

Titel: Nora Morgenroth: Die Gabe
Autoren: Kerstin Michelsen
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mich überhaupt setzen konnte.
    „Willst du?“, fragte ich und reichte ihr den Umschlag. „Es war deine Idee.“
    „Nee, mach du, ist ja deine … Yasmine“, gab sie zurück und lächelte. „Hauptsache, du machst es, das ist ja nicht auszuhalten. Los, los!“
    Meine Hände waren vor Aufregung feucht. Ich fummelte ungeschickt an dem steifen Umschlag herum. Dann zog ich es heraus. Ein einziges Blatt Papier. Es war ein Vordruck in englischer Sprache, es las sich amtlich und vollkommen unbeteiligt, neutral. Ich überflog die wenigen Zeilen : …paternity test result … DNA criteria … propability 99.9999 %  … biological father …
    Die Zahl war alles, worauf es ankam.
    Damit war bewiesen, dass John van der Brelie mit Yasmine Abassian ein Kind gezeugt hatte. Die von Jessie entrissenen Haare stimmten mit dem DNA-Profil des Fötus überein.
    „Hey, weine nicht.“
    Franka war plötzlich neben mir und legte ihre Arme um mich. Sie hielt mich fest, solange ich weinte. Dann bestellte sie für jede von uns einen Sambuca und dann noch einen. 
    Am nächsten Morgen stand ich um acht Uhr in der Frühe vor der Polizeiinspektion und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Die Empfangsdame hatte mir gesagt, dass Kriminalhauptkommissar Lüdke an diesem Tag zum Dienst erwartet wurde, sie konnte mir nur nicht genau sagen, wann. Also tigerte ich unruhig vor dem Eingang hin und her und qualmte die Packung leer, die ich mir am Vorabend gekauft hatte. Den Parkplatz vor dem Gebäude konnte ich von hier gut überblicken.
    Da ich nicht wusste, was der Hauptkommissar für einen Wagen fuhr, machte mein Herz bei jedem Auto, das sich dem Gebäude näherte, einen kleinen Satz. Ich würde hier ausharren, bis er kam, egal, wie lange es dauerte. Dann würde ich ihm das kleine Päckchen überreichen, das in meiner Umhängetasche steckte. Ich spürte das Gewicht des Buches bei jedem Schritt. Das Testergebnis des Genlabors steckte mit dem Buch und zwei dunkelbraunen Haaren, die ich zurückbehalten hatte, in einer Tüte. Dabei hatte ich sehr darauf geachtet, die Fingerabdrücke nicht zu verwischen. So etwas sah man doch immer in den Krimis: Niemals ein Beweisstück mit den bloßen Händen anfassen.
    Entscheidender war wohl das Untersuchungsergebnis, das bewies, dass die DNA des Stadtrats und die des Fötus übereinstimmten. Die Vaterschaft war damit so gut wie bewiesen. Diesen Nachweis konnten sie einfach nicht ignorieren, wie unrechtmäßig er auch immer zustande gekommen war. Wenn man mich dafür belangen würde, dass ich die vertraulichen Inhalte einer Fallakte fotografiert hatte, dann sollten sie das tun. Vermutlich war auch der ganze Rest illegal gewesen, das mit dem Labor und wie ich an die Haare gekommen war. Doch ich hatte nicht anders handeln können und würde es jederzeit wieder tun.
    Endlich sah ich ihn. Ein unscheinbarer, dunkelgrauer Mittelklassewagen hielt in einem Abschnitt, der für die Dienstfahrzeuge reserviert. war Ich sah ihn aussteigen. Der Hauptkommissar sah ernst aus, wie in Gedanken versunken, als er mit großen schnellen Schritten auf das Gebäude zueilte. Den Kopf hielt er gesenkt und blickte erst auf, als ich unmittelbar vor dem Eingang auf ihn zutrat. Im ersten Augenblick wirkte es, als könnte er mein Gesicht nicht unterbringen, dann hellte seine Miene sich auf.
    „Oh, hallo Frau Morgenroth, das ist aber eine Überraschung!“
    Ich kramte in meiner Tasche und holte das kleine Bündel hervor. Meine Hände zitterten leicht, als ich es ihm entgegenstreckte.
    „Herr Hauptkommissar, ich habe hier etwas für Sie.“
     

 
EPILOG
    John van der Brelie hatte Yasmine Abassian nicht getötet. Ich weiß das von Oliver, also von Kriminalhauptkommissar Lüdke. Und wenn einer weiß, wie es wirklich gewesen ist, dann er. Außer den Beteiligten natürlich. Wir haben einige Male länger telefoniert in den letzten Wochen. Und getroffen haben wir uns auch, neulich, auf einen Tee, aus dem dann zwei oder drei wurden. Wie er es angestellt hatte, mich aus den offiziellen Ermittlungen herauszuhalten, das wollte er mir nicht sagen.
    Doch ich weiß nun endlich, wie Yasmine gestorben ist. Die fehlenden Puzzleteile liegen vor mir:
    Sie hatten sich gestritten, sie und ihr John, an jenem letzten Abend auf der Dachterrasse, weil sie sich weigerte, einer Abtreibung zuzustimmen. Wutentbrannt hatte der Stadtrat seine heimliche Geliebte von sich gestoßen. Yasmine war rücklings gestolpert und im Fallen mit dem Hinterkopf gegen einen der großen
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